Lieblingswerkzeug der Giftmörder
Seit Urzeiten haftet den Pilzen etwas Geheimnisvolles an, manch einem sind sie bis heute nicht geheuer. Gründe dafür gibt es viele: Manche Pilze schießen sprichwörtlich aus dem Boden, andere leuchten bei Nacht oder wachsen in Kreisen, den berüchtigten Hexenringen.
Einerseits sprach man einigen Pilzen schon früh eine positive Wirkung zu. Bei den Römern galten die dickfleischigen Pilze etwa als Stärkungsmittel, das die Soldaten regelmäßig zu essen bekamen.
Andererseits wurde bereits in der Antike vor ihrer giftigen Wirkung gewarnt. Man dachte, Pilze würden ihre giftigen Eigenschaften durch äußere Einflüsse erhalten: dadurch, dass sie neben verrosteten Nägeln oder Eisen, neben Schlangenhöhlen oder neben Bäumen mit giftigen Früchten wuchsen.
Bei Giftmördern waren sie beliebt, da die Todesursache der Opfer häufig nur schwer feststellbar war. So starb 54 nach Christus der römische Kaiser Claudius nach dem Genuss von Pilzen, die ihm seine Frau Agrippina zubereitet hatte – um so ihrem Sohn Nero den Weg zum Thron zu ebnen.
Nicht Pflanze, nicht Tier
Die Menschen der Antike glaubten, Pilze würden sich durch "Urzeugung" stets neu aus Schlamm und faulendem Erdreich entwickeln.
Bis in die Neuzeit hinein wurde das Erscheinen von Pilzen mit "Miasmen" erklärt: Die Pilze entstünden aufgrund von schlechten Ausdünstungen der Erde oder anderen faulenden Substraten. Erst der französische Chemiker Louis Pasteur (1822-1895) konnte nachweisen, dass sich selbst winzige Lebewesen aus Keimen entwickeln.
Kaum hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass Pilze ganz gewöhnliche Lebewesen seien, entbrannte die Diskussion darüber, um was für eine Art von Organismus es sich handle. Pflanze oder Tier?
Da sie sich nicht fortbewegen können, rechnete man sie zunächst den Pflanzen zu – allerdings fehlten Wurzeln, Stängel, Blätter, Samen oder Früchte. Zwar besitzen sie wie Pflanzen eine Zellwand, doch die besteht nicht aus Cellulose, sondern aus Chitin – dem Stoff, aus dem die Zellwände der meisten Insekten gemacht sind.
Außerdem besitzen Pilze kein Chlorophyll und sind damit nicht in der Lage, aus Licht und Kohlendioxid Zucker herzustellen. Sie müssen sich, wie Tiere, heterotroph ernähren, also von anderen organischen Substanzen. Erst 1969 schlug der amerikanische Biologe R. H. Whittaker vor, sie in einer eigenen Gruppe zu führen.
Weit über eine Million gibt es nach Schätzungen von Fachleuten. Nicht mal ein Prozent davon sind vermutlich bekannt beziehungsweise erforscht.
Von den einzelligen Pilzen sind die Wein-, Bier- oder Backhefen die bekanntesten Nutzpilze. Viele spielen auch beim Reifeprozess von Milchprodukten wie Käse eine Rolle. Den Pilzsammler interessieren jedoch weder Schlauch-, Algen-, Schleim- noch Schimmelpilze. Ihn locken die Großpilze, von denen es nach vorsichtigen Schätzungen in Mitteleuropa mindestens 5000 bis 10.000 Arten gibt.
Hexenringe und leuchtende Fäden
Die Menschen im Mittelalter waren sich sicher: Wer einen Hexenring betritt, dem wird Schreckliches widerfahren – ansteckende Krankheiten, magische Verwünschungen oder noch viel Schlimmeres. Denn Hexenringe galten als Versammlungsorte für Feen und Hexen.
Die Wahrheit ist weniger mysteriös: Rund 60 Pilzarten wachsen regelmäßig in Kreisform aus der Erde. Denn was Pilzsammler mit nach Hause nehmen, ist nur die Frucht des Pilzes.
Der eigentliche Pilz ist ein fadenförmiges Zellgeflecht im Boden. Dieses Hyphengeflecht, auch Myzel genannt, breitet sich gleich schnell in alle Richtungen aus. Am Ende der Myzelfäden wachsen die Fruchtkörper aus dem Boden – und bilden den Hexenring. Wenn es mild und feucht ist, können die Pilze über Nacht aus dem Boden schießen.
Auch dieses Phänomen ließ die Menschen früher an Elfen, Feen und Geister denken: Grünes Licht schimmerte des Nachts auf dem Waldboden. Im Jahr 1823 entdeckte man dann, dass Leuchtpilze dafür verantwortlich sind. Einer davon ist der Hallimasch. Dabei leuchtet vor allem das vom Myzel durchwachsene Holz des Baumes, auf dem er gedeiht.
Das Leuchten wird als Biolumineszenz bezeichnet: die Erzeugung von Licht durch einen chemischen Vorgang. Der Pilz will damit Insekten anlocken, welche die Pilzsporen verbreiten sollen, mit deren Hilfe sich die Pilze vermehren.
Zersetzer und Lebenspartner
Pilze haben im Naturhaushalt die Rolle der Zersetzer übernommen. Denn sie können Kohlenhydrate nicht wie Pflanzen durch Photosynthese selbst herstellen. Für ihren Stoffwechsel sind sie auf die von anderen Lebewesen gebildeten organischen Stoffe angewiesen, sie ernähren sich heterotroph. Zusammen mit Bakterien und tierischen Kleinstlebewesen bilden sie aus organischem Abfall den Humus.
Um an die Kohlenhydrate zu kommen, werden einige Pilze zu Räubern. Menschen, die unter einem Darmpilz leiden, bekommen das auf unangenehme Weise zu spüren. Andere Pilzarten bedienen sich bei den Nutzpflanzen. Dieser Pilzbefall kann im schlechtesten Fall zu Missernten führen. Zu diesen Schmarotzern zählen das Mutterkorn beim Roggen, Maisbeulenbrand und Kartoffelfäule.
Ebenfalls als Parasit betätigt sich der Hallimasch. Mit seinen Zellfäden durchwächst er das Holz der Bäume, kann sie auf diese Weise schädigen und sogar zum Absterben bringen.
Eine andere Strategie, an Kohlenhydrate zu gelangen, ist es, abgestorbenes Material zu besiedeln. Wieder andere Pilze profitieren von der Lebensgemeinschaft oder Symbiose mit Bäumen.
Mit dem Pilzgeflecht Myzel nehmen die Pilze auch noch kleinste Mengen an Nährstoffen und Wasser aus tiefen Bodenschichten auf und stellen sie dem Baum zur Verfügung. Der Baum versorgt den Pilz dafür mit Produkten aus der Photosynthese.
Einige Pilze wurden nach ihren bevorzugten Lebenspartnern benannt: So wächst der Birkenpilz meist unter Birken, die Eichenrotkappe häufig unter Eichen.
Keinen Pfifferling wert
Der Wert der Pilze änderte sich im Lauf der Zeit. Noch im Mittelalter und in der Renaissance gehörten Pfifferlinge zum Gesindeessen und waren "keinen Pfifferling wert". Heute sind sie Edelpilze, wie Morcheln oder Trüffel, die auch als schwarze Diamanten bezeichnet werden.
Steinpilz, Pfifferling und Trüffel ist gemein, dass sie in der Natur gesammelt werden müssen. Immer größere Bedeutung erlangen Kultursorten wie Champignon, Shiitake und Austernpilz, die meist in Zuchtbetrieben angebaut werden.
Pilze schmecken nicht nur gut, sie tragen auch zur gesunden Ernährung bei – mit Mineralien und Vitaminen, unter anderem dem Vitamin D, das wir sonst nur mit Hilfe der Sonne produzieren können. Zu rund drei Vierteln bestehen Pilze aus Wasser und enthalten kaum Fett – ideal zum Abnehmen.
Einen hohen Stellenwert räumt man den Pilzen in der asiatischen Medizin ein. Der Shiitake zum Beispiel soll gegen Erkältungskrankheiten und Grippe helfen, sowie bei Hautentzündungen, Bluthochdruck, Leberkrankheiten und Allergien.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 27.08.2020)