Irland

Die große Hungersnot in Irland

In den Jahren 1845 bis 1849 verfaulten in Irland die Kartoffeln auf den Äckern und zerstörten damit die Lebensgrundlage vieler Menschen. Eine gewaltige Hungersnot halbierte die Bevölkerungszahl innerhalb weniger Jahre. Die Not von damals prägt das Leben in Irland bis heute.

Von Wolfgang Neumann-Bechstein

Kleiner Pilz mit großer Wirkung

Wenn Naturkatastrophen mit ungünstigen politischen Verhältnissen zusammentreffen, werden die Folgen für die Menschen oft besonders verheerend. Die Iren mussten diese Erfahrung Mitte des 19. Jahrhundert machen, als mehrere Kartoffelernten nahezu vollständig ausfielen. Ein Pilz namens "Phytophthora infestans", eingeschleppt aus Nordamerika, war die Ursache.

Der Pilz greift zuerst das Kartoffelkraut an und lässt es faulen. Bei feuchter Witterung werden dann die Sporen in den Boden geschwemmt und greifen die Knolle an. Das Gewebe der gesamten Kartoffelpflanze wird zerstört. Schnell breitet sich die Krankheit über das Feld aus.

Heute gibt es dagegen Spritzmittel, aber im 19. Jahrhundert ruinierte der Pilz die Nahrungsgrundlage eines ganzen Volkes. 1842 hatte sich der Erreger von den USA aus verbreitet und nach West- und Mitteleuropa übergegriffen. 1845 trat "Phytophthora" erstmals in großem Ausmaße auf irischen Feldern auf.

Hilflos mussten die Bauern zuschauen, wie vor ihren Augen die gesamte Ernte verdarb. Die wenigen Kartoffeln, die man noch vor dem Pilzbefall retten konnte, waren viel zu klein – weil keine Zeit mehr blieb, sie ausreifen zu lassen.

Ein Pilz zerstörte die komplette Kartoffelernte | Bildquelle: dpa/Marijan Murat

Missernten, Hunger und Auswanderung

Die Kartoffelpest hatte fatale Folgen für die kleinen Pachtbauern in Irland. Sie mussten auf ihre Vorräte zurückgreifen. Einen Teil der Kartoffelernte bewahrten die Bauern normalerweise auf, damit dieser im nächsten Jahr als Saatgut dienen konnte. Aber der geringe Ertrag ließ den Bauern keine Wahl. Sie brauchten die Kartoffeln als Nahrung und konnten nichts für die nächste Saat zurückhalten.

Noch blieb diese Missernte im Rahmen normaler Hungerjahre, weil die Bauern sich entschlossen, ihre Reserven anzugreifen. Unter schrecklichen Entbehrungen überstanden daher die meisten Iren diesen ersten Hungerwinter.

Als sich aber der Pilz in den folgenden drei Jahren weiter ausbreitete und zu noch mehr Missernten führte und zudem das Saatgut verbraucht war, standen die irischen Kleinbauern vor dem Ruin.

Schätzungsweise eine Million Iren verhungerte, weitere ein bis zwei Millionen wanderten in den folgenden Jahren aus – vor allem nach Kanada, Australien und in die USA. Bis 1920 waren fünf Millionen Iren ausgewandert.

Zum Hunger gesellten sich Seuchen wie Pest und Typhus. Die Menschen starben zu Hunderttausenden. Die Jahre zwischen 1845 und 1849 gingen als die "Große Hungersnot" ("The Great Famine") in die irische Geschichte ein.

Ganze Landstriche wurden entvölkert | Bildquelle: dpa/Picture-Alliance

Englische Skrupellosigkeit

Besser als den irischen Bauern erging es den englischen Gutsherren auf der Insel. Sie hatten nicht nur ausreichend Ressourcen, um die Missernten zu überstehen, sie genossen zudem den besonderen Schutz der englischen Regierung und des englischen Rechtssystems. Nach englischem Pachtrecht konnten die Landlords nicht nur jederzeit ihren Pachtbauern das Land kündigen. Sie durften auch deren Gehöfte niederreißen, um eine Rückkehr zu verhindern.

Davon machten sie ausgiebig Gebrauch mit der Folge, dass die Kartoffelpest großen Teilen der irischen Landbevölkerung ihre Existenzgrundlage nahm, den englischen Landbesitzern aber ungeahnte Landzuwächse bescherte – Land von einer Fruchtbarkeit, die es sonst auf den britischen Inseln nirgendwo gibt.

Hilfe hätte von der englischen Regierung kommen können. Doch das Gegenteil geschah. Die hungernden Iren mussten zusehen, wie die wenigen Kartoffeln von englischen Landbesitzern nach England verschifft wurden. Schlimmer noch: Selbst die Getreide-Ernte, die normal ausfiel und eine Ernährungsgrundlage hätte bilden können, wurde exportiert, denn die mittellosen Iren hatten kein Geld, um Brot und Mehl zu kaufen.

Die Engländer ließen die Iren vor den Toren stehen | Bildquelle: akg

Es war die Zeit des Wirtschaftsliberalismus' und viele Bildungsbürger im fernen London vertraten die Ansicht, dass eine solche Hungerkatastrophe die drohende Überbevölkerung Irlands regulieren könnte. Keinesfalls dürften durch subventionierte Lebensmittel Preise und damit Märkte gefährdet werden.

Andere sahen die Hungersnot als willkommenen Anlass, eine aus englischer Sicht aufsässige irische Bevölkerung zu disziplinieren. Was immer zu Gunsten der Iren unterlassen wurde: Es passte dem englischen Bürgertum, dem eine boomende Industrie und koloniale Machtpolitik rosige Zeiten verhieß.

Zwar war Irland Teil der englischen Krone und keineswegs mit den fernen Kolonien vergleichbar. Aber die englischen Politiker gingen nicht davon aus, dass die Iren der englischen Herrschaft gegenüber loyal wären. Aus der anhaltenden Kartoffelkrise konnten daher die Iren nur geschwächt, die Engländer gestärkt hervorgehen.

Der Weg in die Unabhängigkeit

Vergessen haben die Iren das Verhalten der Engländer während der Kartoffelpest nie. Das schon vorher angespannte Verhältnis zwischen Iren und Engländern schlug nach der Hungersnot in offenen Hass gegen alles Englische um. Schon in den 1870er-Jahren bildeten sich erste Organisationen, die eine Landreform sowie eine Unabhängigkeit Irlands erreichen wollten. Viele gewaltsame Auseinandersetzungen mit der britischen Krone waren die Folge.

Erst 1903 ging der irische Boden in den Besitz der irischen Bauern über. Doch damit waren die Iren längst noch nicht besänftigt, die Unabhängigkeitsbestrebungen gingen weiter. 1916 scheiterte noch der der gewaltsame Osteraufstand an der Übermacht der englischen Armee.

Der Anglo-Irische Krieg zwischen 1919 und 1921 führte schließlich zur Unabhängigkeit Irlands mit Ausnahme von Nordirland, das bis heute dem Vereinigten Königreich unterstellt ist. Viele Historiker sehen in der großen Hungersnot den entscheidenden Auslöser für die forcierten Unabhängigkeitsbestrebungen der Iren.

Als 2011 Queen Elizabeth II. Irland besuchte, freute das nicht alle Menschen im Land | Bildquelle: AFP/Peter Muhly

(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 13.09.2019)