Erfindungen

Sprengstoff

Sprengstoff lässt Häuser zerbersten, Berge erzittern und Türme zusammenfallen. Wenn er explodiert, bleibt kein Stein auf dem anderen – er ist konzentrierte Energie. Die Kräfte einer Sprengstoffexplosion faszinieren Menschen seit Jahrtausenden.

Von Marietta Arellano

Chinesisches Schießpulver

Als die Menschen lernten, die chemische Sprengkraft gezielt zu nutzen, brachte ihnen das sowohl technischen Fortschritt als auch unsagbares Leid. Schon im 10. Jahrhundert ließen es die Chinesen krachen. Findige Alchimisten hatten als Erste erkannt, dass in der Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel explosive Kräfte schlummerten und erfanden das Schießpulver.

Feuerwerksraketen und Brandsätze verbreiteten sich schnell im ganzen Land. Genutzt wurden die zischenden und sprühenden Geschosse nicht nur zur allgemeinen Belustigung, sondern auch zur Abschreckung von Feinden.

Mit großem Erfolg: Vor allem die mit Schießpulver gefüllten Bambusrohre waren gefürchtet und können als die ersten Flammenwerfer der Geschichte bezeichnet werden.

Von Asien aus setzte Schießpulver zu einem Siegeszug nach Europa an. Mehr und mehr Handelsreisende kehrten im 13. Jahrhundert mit dem Wissen über die brisante Mischung in ihre Heimat zurück. Doch auch im westlichen Abendland hatten frühe Sprengstoffexperten inzwischen erste Erfolge erzielt.

So schrieb der englische Franziskanermönch Roger Bacon damals: "Lass das gesamte Gewicht dreißig sein, jedoch von Salpeter nehme sieben Teile, fünf von jungem Haselholz und fünf von Schwefel, und du wirst so Donner und Zerstörung hervorrufen, wenn du die Kunst kennst."

Sprengstoffeinsatz im Mittelalter | Bildquelle: akg

Die Kunst der Sprengstoffherstellung kannten bald alle Völker auf dem europäischen Kontinent und so standen sich die Armeen des 14. Jahrhunderts bereits mit schweren Metallkanonen gegenüber. Geschossen wurde zunächst mit Brandpfeilen, später mit Steinkugeln. Das Schießpulver lieferte den Antrieb für die gefährliche Munition.

Über Jahrhunderte blieb die Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel der einzige bekannte Sprengstoff. Dann brach mit Nitroglycerin und Dynamit ein neues Zeitalter in der Geschichte der Explosivstoffe an.

Meilenstein Dynamit

Mit der Erfindung des Dynamits gelang Alfred Nobel 1866 der Durchbruch in der Sprengstoffforschung. Als Herr über ein Sprengstoffimperium verdiente er sich bald eine goldene Nase.

Dabei war Nobel keinesfalls der einzige, der von einem handhabungssicheren und hochexplosiven Sprengstoff geträumt hatte. Der Turiner Chemiker Ascanio Sobrero stieß bereits 1846 auf das Nitroglycerin, einen Stoff mit enormer Sprengkraft.

Die Mischung aus Glycerin, Schwefel- und Salpetersäure war explosionsfreudig wie kein anderes Mittel zuvor. Allerdings gelang es Sobrero nicht, seine Erfindung zu bändigen. Schon bei kleinster Erschütterung ging die farblose Flüssigkeit in Flammen auf.

Der Schöpfer des Nitroglycerins erfuhr die Schattenseite seiner Entdeckung am eigenen Leibe. Schwere Verletzungen im Gesicht zeichneten den Sprengstoffforscher bis zu seinem Tod.

Nobel entging solch einem Schicksal. Ihm gelang es, aus der unberechenbaren Flüssigkeit einen handhabungssicheren und damit für die Industrie wertvollen Sprengstoff zu bauen. Hierzu mischte er 1866 Nitroglycerin mit Kieselgur, einem Sand aus den Skeletten von Kleinstlebewesen des Meeres. Die so entstandene Masse ließ sich problemlos portionieren und transportieren.

Eingewickelt in Paraffinpapier und mit einer Zündschnur versehen, konnten dem neuen Sprengstoff bisher unbekannte Kräfte entlockt werden. Fünfmal stärker als das Schießpulver soll die Explosionskraft von Nobels Erfindung schon damals gewesen sein. Eine Sensation! Nobel gab seinem Sprengstoff den Namen Dynamit, denn das griechische Wort "dynamis" bedeutet Kraft.

Sprengstoffherstellung wird zur Fabrikarbeit | Bildquelle: akg

Ziviler Nutzen

Seitdem kommt der explosive Stoff beim Bau von Tunneln und Kanälen ebenso zum Einsatz wie bei der Sprengung von Gebäuden. Die Erfindung von Alfred Nobel ermöglichte Vorhaben, von denen man vorher nur träumen konnte.

Die Baugeschichte des Kanals von Korinth, der das griechische Festland von der Halbinsel Peloponnes trennt, macht das besonders deutlich: Schon der römische Kaiser Nero versuchte um das Jahr 67, mit der Arbeit von Tausenden von Sklaven einen Kanal graben zu lassen – und scheiterte.

Rund 1800 Jahre später, nach der Erfindung des Dynamits, war der Bau des Kanals eine Leichtigkeit. 1893 wurde der sechs Kilometer lange Wasserweg eröffnet.

Der Kanal von Korinth wurde in zwölf Jahren erbaut | Bildquelle: picture alliance / ANE / Eurokinissi / Antonis Nikolopoulos

Sprengstoff hilft aber nicht nur, neue Bauvorhaben zu realisieren, sondern zerstört auch alte Gebäude in Sekundenschnelle. Bei den meisten Abbrucharbeiten wird heute Sprengstoff genutzt.

Bei Gebäudesprengungen in dicht bebauten Gebieten sorgt ein ausgebildeter Sprengmeister dafür, dass Häuser oder Türme nicht unkontrolliert in alle Richtungen zerbersten. Oft muss der Sprengmeister hierzu mehrere tausend Sprengköpfe verlegen lassen.

Sie werden nicht einfach in das Bauwerk gelegt, sondern die Arbeiter bohren für jeden einzelnen Explosionskörper einen Hohlraum in die zu sprengenden Wände. Anschließend wird der rote Knopf der Zündmaschine gedrückt. Die Explosion des Sprengstoffs lässt das Gebäude dann in sich zusammenfallen.

Sprengstoff lässt Gebäude zerbersten | Bildquelle: dpa

Militärische Sprengstoffe

Militärischer Sprengstoff wird dagegen genutzt, um Menschen zu töten: mit Bomben und Schusswaffen. Zu den bekanntesten Explosivstoffen der Kriegsführung gehört Trinitrotoluol (TNT). 1863 stellte der deutsche Chemiker Joseph Wilbrand den hochexplosiven Stoff erstmals her.

Als Füllmittel für Granaten bekam TNT in der deutschen Rüstungsindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts große Bedeutung. Lange Zeit war er mit einer Explosionsgeschwindigkeit von neun Kilometern pro Sekunde der wirkungsvollste Sprengstoff. Inzwischen gibt es aber noch deutlich zerstörerischere chemische Substanzen.

Die Bomben werden kleiner, haben aber mehr Sprengkraft | Bildquelle: dpa

Sprengstoff explodiert nicht nur in offenen Kämpfen. Oft liegt die tödliche Substanz über lange Zeit im Boden und kann noch nach Jahrzehnten explodieren – wie bei Blindgänger-Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg, die bis heute in vielen deutschen Städten gefährlich werden können.

Seit Jahrzehnten machen Menschenrechtsorganisationen auf die Gefahr von Landminen aufmerksam. Landminen sind kleine Explosionskörper, die vom Opfer selbst unbeabsichtigt ausgelöst werden. Wird ihr Zünder mit einem bestimmten Gewicht belastet, explodiert der mit Sprengstoff gefüllte Behälter.

Sprengstoff im Terroreinsatz

Auch Terror-Gruppen nutzen Sprengstoff für ihre Ziele. Oft wird dabei Flüssigsprengstoff eingesetzt – also eine explosive Mischung, die aus einfachen Bestandteilen zusammengesetzt werden kann. Als Bombenzutaten können Reinigungsmittel und Kunstdünger ebenso dienen wie Chemikalien aus der Apotheke.

In den Jahren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 rückten die Flüssigsprengstoffe stärker in die Aufmerksamkeit. Tatsächlich konnte der britische Geheimdienst im Jahr 2006 terroristische Flüssigsprengstoff-Anschläge auf Passagierflugzeuge verhindern. Seit November 2006 ist es deshalb in der EU verboten, mehr als 100 Milliliter Flüssigkeit einer Substanz im Handgepäck mitzunehmen.

Seit 2006 dürfen nur 100 ml pro Flüssigkeit mit ins Handgepäck | Bildquelle: dpa

Nach wie vor ist die Terrorgefahr durch Sprengstoff hochaktuell. Neu ist sie allerdings nicht. Denn schon zu Alfred Nobels Zeiten verbreiteten Sprengstoffattentäter Angst und Schrecken: So starb 1881 der russische Zar Alexander II. (1818-1881) durch einen Sprengkörper.

(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 08.10.2019)