Hänneschen-Holzpuppe

Theater

Figurentheater

Ob Kasperl und Seppel oder Urmel aus dem Eis: Viele Menschen kennen vor allem die Marionetten und Puppentheaterstücke aus ihrer eigenen Kindheit. Doch die Welt des Figurentheaters ist vielfältig und hat eine lange Geschichte.

Von Siegfried Klaschka

Theater mit langer Tradtion

Figurentheater gibt es auf der ganzen Welt. In fast jedem Land wird mit Puppen Theater gespielt. Und fast jedes Thema wird auf Puppenbühnen dargestellt.

Die Theater spielen klassische Dramen, Komödien, Grotesken, Trauerspiele, Operetten und Opern. In China werden Stücke der Peking-Oper auf Puppenbühnen gespielt.

In Thailand spielt man seit Jahrhunderten mit Stabpuppen. In Japan sind drei Spieler nötig, um eine mannsgroße Puppen zu bewegen. In Vietnam gibt es eine Form, bei der Puppenspieler im Wasser stehen und ihre Figuren führen. Die Kindersendung "Sesamstraße" mit ihren vielen Handpuppen ist seit mehr als 50 Jahren Kult in der ganzen Welt. In Deutschland kennen viele die Marionetten des Theaters "Augsburger Puppenkiste".

Wasserpuppentheater in Hanoi

Wasserpuppentheater in Vietnam

Fantastische und realistische Stoffe haben ihren Platz auf den Puppentheaterbühnen der Welt. Neben vielen Amateuren gibt es Künstler, die eine jahrelange Ausbildung in ihrem Fach genossen haben.

Theater und Themen

Allein in Deutschland gibt es mehr als 100 Puppentheater. Ihr Spielplan ist bunt und anspruchsvoll, Hunderte von Puppenspielern arbeiten professionell in diesem Bereich. Viele von ihnen können sogar davon leben.

Jedes Jahr finden Dutzende Festivals an verschiedenen Orten statt, etwa das internationale Figurentheaterfestival Erlangen-Nürnberg-Fürth, die jährliche Gernsbacher Puppentheaterwoche oder die Imaginale, das internationale Figurentheater-Festival Baden-Württemberg.

Im professionellen Figurentheater werden oft zeitgenössische Autoren gespielt. Manchmal erhalten Schriftsteller auch Aufträge, ein Stück zu schreiben. Zudem gibt es Wettbewerbe, in denen das beste "Drehbuch" ausgezeichnet wird und zur Aufführung kommt.

Auch bekannte Stoffe des "großen" Theaters finden immer wieder Einzug ins Puppenspiel: Das Hohenloher Figurentheater spielt zum Beispiel seit Jahren Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame".

Geschichte des Figurentheaters

Das Figurentheater gibt es schon seit Jahrtausenden. Wer die ersten Figurenspieler der Weltgeschichte waren, ist nicht bekannt. Vielleicht waren schon die ältesten steinzeitlichen Figuren der Menschheit nicht nur rein figurale Darstellungen, sondern wurden auch für rituelle kultische Handlungen verwendet – also früheste Formen eines Figurentheaters.

Gesichert ist, dass schon die antiken Griechen marionettenartige Gliederpuppen kannten. Der griechische Wissenschaftler Aristoteles beschreibt eine Figur, die den Kopf drehen, den Nacken, die Glieder und die Augen bewegen konnte. Der griechische Philosoph Platon verwendet in seinen Schriften mehrfach das Bild von der an Fäden gezogenen Puppe als Symbol für menschliche Abhängigkeit.

Auch andere Kulturen haben eine lange Geschichte des Figurentheaters. Im alten Ägypten waren Spielfiguren sehr beliebt. Schon damals verdienten sich professionelle Puppenspieler mit ihrer Kunst den Lebensunterhalt.

In China war das Figurenspiel schon während der Tang-Dynastie (7. bis 10. Jahrhundert nach Christus) weit verbreitet. Regelrecht in Mode kam es dort zwischen 950 und 1100. Damals führten professionelle Puppenspieler ihre Stücke im Kaiserpalast, in den Haushalten reicher Mandarine, auf Märkten und in Bordellen auf – meist mit Stockpuppen und Marionetten.

Mittelalter und Neuzeit

In mittelalterlichen Schriften wie dem Alexanderlied findet man Abbildungen von Spielpuppen. Im religiösen Bereich gab es "Mysterienspiele". Puppenspieler brachten an religiösen Feiertagen dem einfachen Volk auf Marktplätzen auf diese Weise christliche Glaubensinhalte näher.

Später wurden auch nicht-religiöse Stoffe mit Figuren gespielt. Das deutsche Trauerspiel "vom erschröcklichen Erzzauberer Johannes Fausten, seinem Seelenhandel mit dem Teufel und seiner schließlichen Höllenfahrt" war zeitweise das meistgespielte Stück des Puppentheaters.

Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der als Kind ein Puppentheater geschenkt bekommen hatte und leidenschaftlich damit spielte, nutzte die Geschichte von Fausten später für sein berühmtes Werk "Faust".

Aus der Zeit des englischen Dichters William Shakespeare sind Stoffe und Libretti für das Puppentheater überliefert. In Italien wurde vor allem die "Commedia dell'arte" auf der Puppenbühne gespielt. Im sizilianischen Puppentheater "Opera dei pupi" kamen vor allem Marionetten zum Einsatz.

Figuren der sizilianischen "Opera dei Pupi"

Filigrane Figuren der "Opera dei Pupi"

In der DDR war das Puppentheater eine wichtige Sparte der Darstellenden Kunst. Es gab in fast allen Bezirken feste Spielstätten, oft mit einem umfangreichen Ensemble und eigenen Werkstätten ausgestattet.

Entsprechend umfassend und fundiert war in der Zeit die Ausbildung zum Puppenspieler, etwa an der "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch" (HfS Ernst Busch) in Berlin.

Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurde diese Tradition fortgesetzt: Auch heute kann man an der HfS Ernst Busch Figurentheater studieren. Daneben gibt es noch eine weitere Hochschule in Deutschland, an der ein ähnlicher Studiengang existiert: die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.

Bis heute fasziniert das Figurentheater viele Menschen. Theaterinteressierte lassen sich von Marionetten, Marotten und anderen Handpuppen begeistern.

In den Händen von Puppenspielern, auf der Bühne, mit Licht und Ton, sind die Figuren keine bewegten Holzköpfe an Fäden, sondern werden zu Wesen. Für viele Fans sind sie sogar lebendiger als die animierten Figuren in 3D Hollywood-Produktionen.

(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 11.08.2020)

Quelle: SWR

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