Von langer Hand geplant
Mitte der 1970er-Jahre versinkt Argentinien im politischen Chaos. Die Regierung von Präsidentin María Estela Martínez de Perón hat das Land nicht mehr unter Kontrolle.
Linke Guerillatruppen und rechte Paramilitärs terrorisieren die Bevölkerung. Politische Konzepte zur Stabilisierung der maroden Wirtschaft greifen ins Leere. Der Zeitpunkt eines Putsches scheint günstig. Am 24. März 1976 wird die Präsidentin vom Militär auf einem kleinen Inlandsflughafen verhaftet.
Der Putsch ist gut vorbereitet. Alle strategisch wichtigen Stellen des Staates sind bereits vom Militär besetzt. Noch in derselben Nacht erklärt General Jorge Rafael Videla über das Radio, dass der Staat fortan unter der Kontrolle einer Gruppe (Junta) steht, die sich aus den Oberbefehlshabern der Streitkräfte zusammensetzt. Er selbst wird zum Präsidenten des Landes ernannt.
Die Bevölkerung ist zunächst froh, dass die äußerst unbeliebte Regierung unter Juan Domingo Peróns dritter Gattin endlich gestürzt ist. Militärdiktaturen sind in Argentinien nichts Ungewöhnliches. Diese ist bereits die sechste im 20. Jahrhundert.
Mit welcher Brutalität die Militärs jedoch vorgehen würden, hätte man bereits ein halbes Jahr vorher ahnen können. Bereits zu diesem Zeitpunkt äußerte General Videla bei einem Treffpunkt amerikanischer Heere: "In Argentinien müssen so viele Personen sterben, wie nötig sind, um den Frieden zu erreichen."
Verfolgungen im ganzen Land
Unmittelbar nach der Machtübernahme beginnt das Militär mit der Jagd auf Oppositionelle. Gewerkschafter, kritische Studenten, linke Intellektuelle, Journalisten und Anhänger Peróns stehen auf der Liste mobiler Einsatzkommandos und werden aus ihren Wohnungen in Folterlager verschleppt.
Mehr als 340 solcher Lager entstehen in der Folgezeit im ganzen Land. Tausende Menschen werden entführt, gefoltert und getötet. Die meisten von ihnen sind bis heute verschwunden. Auch die Deutsche Elisabeth Käsemann gehört zu den Opfern.
Das Militär verfolgt bei seinem Terror einen perfiden Plan: Wo keine Leichen auftauchen, kann auch niemand nachvollziehen, ob, wann und durch wen jemand getötet wurde. So werden Massengräber ausgehoben und Leichen darin verscharrt. Andere Opfer werden dagegen einfach aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen.
Widerstand in der Bevölkerung gegen die Verfolgungen gibt es kaum. Wer noch nicht verschleppt wurde, sieht zu, dass er das Land verlässt.
Lediglich einige Frauen, deren Söhne oder Männer nach Verhaftungen nicht wieder nach Hause gekommen waren, machen sich auf die Suche nach ihren Angehörigen. Sie werden bekannt als "Mütter der Plaza de Mayo". Jeden Donnerstag treffen sie sich auf dem größten Platz in Buenos Aires, um gegen die Willkür des Militärs zu protestieren.
Sind es kurz nach dem Putsch nur eine Handvoll Frauen, versammeln sich bereits ein Jahr später Hunderte von ihnen auf dem Platz. Für das Militär scheinen sie jedoch keine große Bedrohung darzustellen, es geht kaum gegen die Frauen vor.
Bis heute treffen sich die Mütter auf dem Platz, um ein Lebenszeichen oder die Bestätigung des Todes von ihren Angehörigen zu erhalten. Denn immer noch ist unklar, was mit vielen Menschen während der Diktatur passiert ist.
Die internationale Gemeinschaft schweigt
Internationale Proteste gegen die Machtergreifung der Junta kommen 1976 nur zaghaft auf. Militärdiktaturen sind zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches in Südamerika. Der halbe Kontinent wird von brutal regierenden Generälen beherrscht.
Die republikanische Regierung der USA unter Gerald Ford macht keinen Hehl aus ihren Sympathien für die argentinische Junta. In ihrem internationalen Kampf gegen den Kommunismus scheint ihr jedes Mittel recht. Argentinische Offiziere sind bereits von den USA in speziellen Camps im Fach "Aufstandsbekämpfung" ausgebildet worden.
Und US-Außenminister Henry Kissinger mahnt im Oktober 1976 die Junta an, dass ihre Säuberungsaktionen gegen Linke nicht allzu lange dauern sollten, da 1977 eine demokratische Regierung in den USA an die Macht kommen könnte, die der argentinischen Regierung nicht so wohlwollend gegenüberstehen würde.
1978 findet die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) in Argentinien statt. Internationale Menschenrechtsorganisationen bemängeln zwar im Vorfeld das Vorgehen der Junta gegen Oppositionelle, der Fußball-Weltverband FIFA (Fédération Internationale de Football Association) entschließt sich jedoch, die Austragung nicht in ein anderes Land zu verlegen.
Keines der qualifizierten Länder sagt seine Teilnahme ab. Die Militärs inszenieren die WM als rauschendes Fest. Die internationale Berichterstattung konzentriert sich vornehmlich auf den Fußball. Weltmeister wird ausgerechnet Argentinien.
Lediglich der Trainer der argentinischen Nationalmannschaft, César Luis Menotti, zeigt im Augenblick des Triumphs Größe. Vor der versammelten Weltöffentlichkeit verweigert er bei der Siegerehrung den Generälen demonstrativ den Handschlag und greift sie bei der anschließenden Pressekonferenz scharf an.
Krieg um 200 kleine Inseln
Anfang der 1980er-Jahre steht die Junta unter großem Druck. 1981 übernimmt mit Leopoldo Galtieri ein sehr konservativer General die Präsidentschaft. In der Bevölkerung regt sich erster Widerstand. Dazu kommt die prekäre wirtschaftliche Lage. Es muss dringend ein politischer Erfolg her, um die Stabilität zu bewahren. Galtieri plant einen ganz besonderen Coup.
Eine der offenen Wunden der argentinischen Seele ist die Besetzung der Falklandinseln durch Großbritannien. 1983 würde sich diese Besetzung zum 150. Mal jähren.
Da die internationale Gemeinschaft bisher nur zaghaft die argentinische Diktatur kritisiert hat, wird Galtieri übermütig. Erstens, so glaubt er, würde Großbritannien wegen dieser kleinen Inseln und ihrer knapp 3000 Bewohner keinen Krieg beginnen. Und zweitens wähnt er die republikanische amerikanische Regierung unter Ronald Reagan hinter sich.
Beides erweist sich als Trugschluss. Reagan versucht, Galtieri von der Besetzung der Inseln abzubringen, hat aber keinen Erfolg damit. Und die britische Premierministerin Margret Thatcher, auch "Eiserne Lady" genannt, entsendet sofort nach der argentinischen Besetzung am 2. April 1982 eine riesige Seestreitmacht.
Der Krieg dauert nur bis Mitte Juni. Die meist jungen und schlecht ausgebildeten argentinischen Soldaten sind der britischen Armee hoffnungslos unterlegen. Mehr als 1000 Soldaten verlieren in den wenigen Wochen des Krieges ihr Leben.
Am 15. Juni 1982 gibt die argentinische Armee endgültig auf. Im Heimatland kommt es zu massiven Protesten gegen die Junta. Die Generäle können den Unmut der Bevölkerung nicht mehr beschwichtigen.
Galtieris Nachfolger Reynaldo Bignone leitet langsam den Weg der Demokratisierung ein. Bei den ersten freien Wahlen nach mehr als zehn Jahren wird Raúl Alfonsín am 30. Oktober 1983 zum demokratischen Präsidenten gewählt. Die Junta unterzeichnet im Dezember des gleichen Jahres ihre Auflösung.
Schwierige Aufarbeitung
Nach dem Zusammenbruch der Diktatur macht sich die argentinische Justiz schnell an die Verurteilung der Verantwortlichen. Schon im Jahr 1985 werden die führenden Köpfe der Junta, darunter auch Rafael Videla, zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch noch im selben Jahr verabschiedet der Kongress das sogenannte Schlusspunktgesetz. Wer bis dahin nicht angeklagt wurde, wird es in Zukunft auch nicht.
Zudem werden auch Befehlsempfänger von der Strafverfolgung ausgenommen. Viele Offiziere, Folterer und Mörder bleiben somit auf freiem Fuß. 1990 geht Präsident Carlos Menem noch weiter. Er begnadigt pauschal alle, die wegen Verbrechen im Gefängnis sitzen, die sie während der Diktatur begangen haben.
Erst zwölf Jahre später ändert sich mit dem Amtsantritt von Präsident Néstor Kirchner Grundlegendes in der Aufarbeitung der Diktatur. Kirchner beseitigt das Amnestiegesetz, das alle Mitglieder der Diktatur von der Strafverfolgung ausgenommen hatte. Die Junta hatte dieses Gesetz noch selbst erlassen, als abzusehen war, dass es mit der Diktatur zu Ende gehen würde.
Seitdem werden viele Verfahren wieder aufgerollt beziehungsweise erstmalig angestrengt. Doch das Schicksal vieler Opfer der Diktatur wird wohl nie ganz aufgeklärt werden.
General Videla allerdings wurde im Juli 2012 von einem Bundesgericht in Buenos Aires ein zweites Mal verurteilt – dieses Mal zu 50 Jahren Haft. Viel hat er davon nicht abgesessen, im Mai 2013 starb er im Gefängnis von Marco Paz.
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 08.03.2020)