Drei spitze Gipfel eines Gebirges vor einem See

Südamerika

Chile – ein Land voller Gegensätze

Chile ist ein Land, das alle erdenklichen Extreme innerhalb seiner Grenzen zusammenbringt. Zwischen den hohen Gipfeln der Anden und den Stränden des Pazifiks, der Hitze der Atacamawüste und der Kälte Patagoniens leben Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen.

Von Hernán J. Martín

Die Krawatte Amerikas

Beim Blick auf die Weltkarte lässt sich Chile leicht entdecken. Es ist der schmale Streifen an der Pazifikküste im Südwesten Amerikas. Im Osten trennen die gewaltigen Anden das Land vom Nachbarn Argentinien und bilden so die drittlängste Grenze der Welt. Im Norden grenzt Chile an Peru und im Nordosten an Bolivien.

Insgesamt erstreckt sich das Land über 4.000 Kilometer durch fast alle Klimazonen der Erde mit Ausnahme der Tropen. Würde man das Land waagerecht auf eine Europakarte legen, würde es von Lissabon bis Moskau reichen. Chile ist durchschnittlich nur 180 Kilometer breit. Das entspricht etwa der Entfernung zwischen München und Nürnberg. Wegen seiner speziellen Form bezeichnen Einheimische das Land auch als "Krawatte Amerikas" – ähnlich wie Italien "Stiefel Europas" genannt wird.

Chile ist ein trikontinentales Land, das heißt: Es besitzt Gebiete auf drei verschiedenen Kontinenten. Neben dem Festland in Südamerika gehören auch Territorien in Ozeanien dazu (darunter die berühmte Osterinsel und die Robinson-Crusoe-Insel) und das chilenische Gebiet in der Antarktis, das mehr als eine Million Quadratkilometer groß ist.

Die Hauptstadt und bevölkerungsreichste Stadt ist Santiago de Chile. Sie befindet sich im zentralen Bereich des Landes, am Fluss Mapocho. Der spanische Eroberer Pedro de Valdivia hat gründete Santiago de Chile im Jahr 1541. Santiago ist der Verkehrsknotenpunkt und das politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Zentrum des Landes.

Die Sonne geht hinter Hochhäusern und Bergen unter.

Blick auf Santiago de Chile

Die Chilenen: eine diverse Bevölkerung

Im Ballungsraum Santiagos, der Region Metropolitana, wohnen rund sieben Millionen Menschen. Insgesamt zählt Chile 17,5 Millionen Einwohner. Das sind in etwa so viele Bewohner wie in Nordrhein-Westfalen – bei einer Landesfläche, die mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland.

Die überwiegende Mehrheit der Chilenen sind Nachfahren von Spaniern und indigenen Bewohnern, in der Kolonialzeit als Mestizen bezeichnet. Die Bevölkerung hat auch Einflüsse von Einwanderern aus anderen europäischen Ländern – darunter Deutsche, Briten, Iren, Franzosen, Italienern und Kroaten.

Gut jeder zehnte Chilene gehört einer indigenen Gruppe an. Die meisten sind Teil des Mapuche-Stamms, der in einem Gebiet südlich von der Hauptstadt Santiago sowie in Argentinien lebt. Andere wichtige indigene Gruppen sind die Aymara und Atacameños, die im Norden in der Nähe der Anden leben. Die Rapanui der Osterinsel sind eine der bekanntesten indigenen Kulturen der Welt. Obwohl Spanisch die offizielle Sprache des Landes ist, sind indigene Sprachen wie Mapudungun (die offizielle Sprache der Mapuche) erhalten geblieben.

Bekannt sind außerdem die Huasos – chilenische Landarbeiter, die im Zentraltal Chiles leben. Die meisten sind ausgezeichnete Reiter und tragen typische Kleidung, die meist aus einem Strohhut (Chupalla) und einem Poncho (Manta) besteht. Die Huasos sind das Pendant zu den Gauchos in Argentinien und den Cowboys in Nordamerika.

Eine Frau mit einem Hut und einem Schal auf der Schulter lacht in die Kamera.

Die Mapuche bilden die größte indigene Bevölkerung Chiles

Poeten und Literaten

Die Esskultur Chiles hat sowohl Einflüsse aus Spanien und anderen europäischen Ländern als auch aus den lateinamerikanischen Nachbarstaaten. Zu den Nationalgerichten gehören etwa Empanadas. Das sind mit Fleisch, Meeresfrüchten oder Käse gefüllte Teigtaschen, die Einheimische entweder im Ofen backen oder in Fett frittieren. Als Cazuela bezeichnen Chilenen ein deftiges Eintopfgericht aus Hühnchen oder Rindfleisch, Mais, Kürbis und weiteren Gemüsesorten.

Auch das Asado, gegrilltes Fleisch, gehört zu den Nationalgerichten. Häufig reichen die Chilenen dazu Pebre, einen Dip aus scharfer Paprika, Zwiebeln, Zitrone und Kräutern. Diese Speisen kommen vor allem zu Festen auf den Tisch, zum Beispiel dem chilenischen Nationalfeiertag am 18. September. Dazu stößt man mit lokal produziertem Rotwein oder Pisco an, einem alkoholischen Getränk aus Traubenmost.

Chile hat einige berühmte Dichter und Schriftsteller hervorgebracht. Die wichtigste zeitgenössische Autorin ist Isabel Allende, die Nichte des Ex-Präsidenten Salvador Allende. Ihre Romane wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt. Pablo Neruda war ein bedeutender chilenischer Schriftsteller und Dichter. Er war vor allem für seine sozialkritische und politische Lyrik bekannt. Neruda erhielt 1971 den Nobelpreis für Literatur.

Auf dem Land sind Folkloretänze und Volksmusik weit verbreitet. Der Nationaltanz ist der sogenannte Cueca. Dabei drehen sich die Tanzpartner im Halbkreis umeinander. Sie halten jeweils ein Taschentuch in der rechten Hand, das sie zum Takt bewegen. Je nach Region gibt es unterschiedliche Ausprägungen von Cueca. Chilenische Volksmusik wird in der Regel mit Akkordeon, Gitarre, Harfe und Tamburin gespielt.

Mehrere gebackene Teigtaschen liegen auf einem Tuch, daneben eine Schale mit einem Dip.

Empanadas und Pebre gehören zu den Nationalgerichten Chiles

Wirtschaftswunder Chile

Auch wenn Chile schon diverse Kriege, politische Umstürze und eine fast zwei Jahrzehnte andauernde Diktatur miterlebt hat, gilt es als eines der am weitesten entwickelten Länder Lateinamerikas.

Die Weltbank definiert Chile als ein Land mit Einkommen im oberen Mittelfeld und hohem Lebensstandard. Im "Index der menschlichen Entwicklung" ("Human Development Index") der Vereinten Nationen belegt Chile den ersten Platz in Lateinamerika und den dritten Platz auf dem amerikanischen Kontinent hinter Kanada und den USA. Auch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist das höchste in Lateinamerika.

Chile gehört zu den wichtigsten Rohstoffproduzenten und -exporteuren der Welt. Das Land besitzt die größten bekannten Kupfer- sowie große Lithium- und Goldvorkommen. Daneben arbeiten die Chilenen im Dienstleistungssektor, in der Land- und Fischereiwirtschaft.

Mehrere farbenfrohe Boote und Schiffe befinden sich in einem Hafen.

Der Hafen von Valparaíso ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort

Soziale Probleme

Trotz des guten Entwicklungsstands besteht immer noch eine große soziale Ungleichheit in Chile. Schätzungen zufolge leben rund 15 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Chile das Mitglied mit der höchsten Einkommensungleichheit.

Ein weiterer Kritikpunkt ist das überteuerte Bildungs- und Gesundheitssystem, das einkommensschwachen Familien verwehrt bleibt. Diese Ungleichheiten führen seit den 2010er-Jahren immer wieder zu Protesten. Es sind vor allem Studenten und junge Chilenen, die für soziale Veränderungen kämpfen.

Im Jahr 2019 gab es landesweit heftige Demonstrationen mit mehr als einer Million Teilnehmern. Diesmal gingen nicht nur Studenten, sondern große Teile der Bevölkerung auf die Straße. Der Auslöser für die Unruhen war eine geplante Erhöhung der U-Bahn-Preise. Es kam zu Vandalismus und Ausschreitungen mit der Polizei, bei denen mehrere Demonstranten getötet wurden.

In Folge der Proteste willigte Präsident Sebastián Piñera ein, ein Referendum abzuhalten. Dabei stimmte eine große Mehrheit dafür, dass eine neue Verfassung erarbeitet werden soll. Im September 2022 wurde der Entwurf für die neue Verfassung allerdings in einem Referendum mit großer Mehrheit abgewiesen.

Eine große Flagge Chiles hängt an einem Gebäude mit der Aufschrift "Educación gratuita y de calidad" ("Bildung – gratis und von guter Qualität").

Studenten protestieren immer wieder für ein besseres Bildungssystem

(Erstveröffentlichung 2021. Letzte Aktualisierung 17.08.2023)

Quelle: WDR

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