Ein natürlicher Prozess
Die westlichste der nordfriesischen Inseln ist durch ihre Lage und Gestalt den Gezeiten seit jeher besonders stark ausgesetzt. Die Westküste von Sylt ist eine typische Rückgangsküste.
Im Gegensatz zu allen anderen nordfriesischen Inseln fehlt ihr eine natürliche Barriere gegen die geballte Wasserkraft der Nordsee. Den Nachbarinseln liegt ein Flachwasserbereich vor, der von Sandbänken durchzogen ist. Die energiereichen Wellen laufen sich so wie an einem breiten Strand tot.
Vor Sylt ist der Meeresboden jedoch sehr tief und steigt erst kurz vor der Insel steil an. Das Meer kann somit ungehindert mit voller Wucht auf die Küste brechen. Es reißt dabei riesige Sandmassen mit sich, die zum großen Teil vor der Küste Amrums wieder abgelagert werden.
Von diesem Prozess besonders stark betroffen sind die beiden Inselenden im Norden und Süden. Ohne Gegenmaßnahmen würden sie bald von der restlichen Insel abgetrennt werden.
Doch was für Sylt dramatisch ist, ist für andere Teile der schleswig-holsteinischen Küste durchaus von Vorteil. Nicht nur das südlich gelegene Amrum profitiert durch Sandaufschüttung von dem Rückgang der Sylter Küste. Auch die Festlandküste kann der Lage von Sylt Positives abgewinnen.
Durch die natürliche Wellenbrecherfunktion der Insel werden die Wassermassen der Nordsee gebremst und treffen somit nicht mit voller Wucht aufs Festland. Dies ist eines der Hauptargumente, den Küstenschutz auf Sylt immer weiter fortzuentwickeln.
Jedes Jahr nimmt das Meer einen Teil der Insel
Eine lange Tradition
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts machen sich die Bewohner von Sylt erste Gedanken um den Küstenschutz. Ab 1867 werden an zahlreichen Stellen sogenannte Buhnen errichtet.
Hierbei handelt es sich um Holzpfähle, die in langen Reihen rechtwinklig zur Küste in das Meer geschlagen werden. Diese sollen in erster Linie die Wellen brechen und uferparallele Strömungen vom Strand fernhalten. Auf Sylt bringen sie jedoch nicht den gewünschten Erfolg, da zu viele Querströmungen die Buhnen umgehen.
Anfang des 20. Jahrhunderts wird in Westerland eine 800 Meter lange Strandmauer errichtet, die den Rückgang der Küste vor dem mittlerweile schon touristisch bedeutsamem Ort aufhalten soll. An der Mauer, die bis 1954 auf drei Kilometer ausgeweitet wird, sind jedoch immer wieder aufwändige und kostspielige Reparaturen notwendig, um die fortschreitende Erosion zu stoppen.
Ab 1960 werden zusätzlich an den Stränden der Westküste sogenannte Tetrapoden errichtet. Diese riesigen, vierfüßigen Betonungetüme liegen zu Füßen der Dünen, sind jedoch viel zu schwer für den Sylter Sand und versinken teilweise im Strand. Eine wirkungsvolle Maßnahme zum Küstenschutz können auch sie nicht bieten. Ab 2005 beginnt man, diese unästhetischen und unnützen Bauwerke wieder zu entfernen.
Tetrapoden hatten auf Sylt nicht den gewünschten Effekt
Sand als Rettung
Aufgrund der vielen misslungenen Versuche, die Abtragung der Küste zu verhindern, wird in Folge der schweren Sturmflut von 1962 ein "Generalplan Küstenschutz" von der Bundesregierung entworfen. Sylt bekommt dabei einen eigenen Fachplan, der sich ausschließlich mit den Maßnahmen zum Küstenschutz auf der Insel beschäftigt.
Da die bisherigen Methoden nicht viel geholfen haben, beginnt man ab 1972 mit einer ganz neuen Variante: den Sandaufspülungen. Baggerschiffe entnehmen auf offenem Meer vor der Westküste Sand und pumpen ein Wasser-Sand-Gemisch an den Strand. Hier wird das Gemisch von Bulldozern verteilt.
Der Vorteil der Sandaufspülungen ist, dass vom Meer nur der vorgespülte Sand abgetragen wird und die natürliche Küstenlinie von der Erosion weitgehend verschont bleibt. Die Sandaufspülungen müssen in jedoch regelmäßigen Abständen wiederholt werden, je nach Intensität der Abtragungen sogar jährlich. Die immensen Kosten dieser Küstenschutzmaßnahme werden von Bundes-, Landes- und EU-Mitteln gedeckt.
Bis heute werden die Sandaufspülungen als wirkungsvollste Methode betrachtet, die Erosion im Zaum zu halten. Die hohen Kosten sind jedoch Anlass dafür, auf dem Gebiet des Küstenschutzes intensiv weiter zu forschen.
Sandaufspülungen auf Kosten der Umwelt
Planet Wissen. 27.09.2023. 04:23 Min.. UT. Verfügbar bis 14.12.2027. WDR.
Blick in die Zukunft
Die Zerstörung durch Erosion wird auf Sylt in Zukunft eher zunehmen als zurückgehen. Die globale Erderwärmung bereitet dabei ebenso viel Kopfzerbrechen wie die stetige Zunahme von Sturmfluten. Im Zuge des steigenden Meeresspiegels sind gerade Küsten wie die von Sylt erhöhtem Seegang und Extremwasserständen ausgesetzt.
Auch eine Strandentwässerung (Stranddrainage), wie sie seit einigen Jahren an den Küsten Dänemarks praktiziert wird, wird in Betracht gezogen. Mithilfe von Pumpen wird dabei der Strand entwässert, um die Wasserdurchlässigkeit des Sandes zu erhöhen. Denn je durchlässiger der Strand, desto geringer ist der Rücktransport von Sand ins Meer. Bisher gibt es aber noch keine konkreten Pläne, diese Methode auf Sylt umzusetzen.
Überall auf der Welt arbeiten Experten fieberhaft an der Sicherung gefährdeter Küstenbereiche. Vor allem in den USA und in Asien laufen groß angelegte, maritime Forschungsprogramme zum Küstenschutz. Eine allseits praktikable Lösung, die auch die beliebteste deutsche Ferieninsel dauerhaft und kostengünstig vor den Naturgewalten schützen kann, ist jedoch bisher noch nicht gefunden worden.
(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 17.03.2021)
Quelle: WDR