Kambodscha

Die Roten Khmer

Drei Jahre, acht Monate und 20 Tage dauerte die Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Als die Vietnamesen ins Land einmarschierten, lag Kambodscha in Trümmern.

Von Alexandra Stober

Systematischer Terror

Tuol Sleng – dieser Name steht für das Grauen. Für Folter und Ermordung. Ein Auszug aus dem Verhörhandbuch für das Sicherheitsgefängnis S-21 in Tuol Sleng:

"Der Zweck der Folter ist es, Antworten zu erhalten. Wir machen das nicht aus Spaß. Wir müssen sie verletzen, damit sie schnell antworten. Eine weitere Methode ist, sie seelisch zu zerbrechen, ihnen den Willen zu nehmen."

Zwischen 15.000 und 20.000 Kambodschaner starben in S-21 oder in den "Killing Fields" in einem Dorf, einige Kilometer von Tuol Sleng entfernt. Sie wurden gefoltert und ermordet, weil sie sich nach Ansicht der Roten Khmer eines Verbrechens schuldig gemacht hatten, "subversive Elemente" oder schlicht "Intellektuelle" waren, also beispielsweise eine Fremdsprache beherrschten. Weniger als ein Dutzend Menschen überlebten das S-21.

Als die Roten Khmer im Januar 1979 vor den vietnamesischen Truppen flüchteten, ließen sie zahlreiche Dokumente in Tuol Sleng zurück – darunter auch Fotos, die von den Gefängnisinsassen angefertigt wurden. Insgesamt belegen die Dokumente, dass Folter und Ermordung systematisch erfolgten und dass die Befehlshaber von Tuol Sleng ständig mit "Angkar" in Verbindung standen.

Dies war der Name der dubiosen Führung der Roten Khmer, von der die Kambodschaner nicht wussten, wer sich tatsächlich dahinter verbarg. Aus der ehemaligen Widerstandsgruppe einiger Kambodschaner, die in den 1950er Jahren in Paris studiert und dort den Kommunismus für sich entdeckt hatten, waren Mitglieder eines Terrorregimes geworden.

Genozid am eigenen Volk, dokumentiert im Völkermord-Museum | Bildquelle: Mauritius

Bürgerkrieg gegen die Regierung

Die Geschichte der Roten Khmer beginnt in der französischen Hauptstadt Paris, wo sich einige kambodschanische Studenten Anfang der 1950er Jahre dazu entschließen, eine eigene kommunistische Partei zu gründen: die "Vereinigten Khmer-Studenten". Nach ihrer Rückkehr nach Kambodscha stehen sie in engem Kontakt zueinander.

Nach Studentenrevolten im Jahr 1963 fliehen einige Mitglieder der späteren Führungsriege der Roten Khmer – Pol Pot (eigentlich: Saloth Sar), Ieng Sary und Son Sen – vor der Regierung in den kambodschanischen Urwald. Dort beginnen sie, die Einheimischen für ihre kommunistischen Ideen zu gewinnen und eine Guerillatruppe aufzubauen.

Zwar ist Kambodscha zu diesem Zeitpunkt seit fast zehn Jahren unabhängig, doch die Lage der Bevölkerung ist schlecht und die Wut auf die reiche und korrupte politische Elite des Landes groß. In den verarmten Bauern sehen die Roten Khmer potenzielle Verbündete.

Mit großer militärischer Hilfe der kommunistischen Nordvietnamesen, die auch die Roten-Khmer-Kämpfer ausbilden, gelingt es der unerfahrenen Guerillatruppe Ende der 1960er Jahre, große Teile Kambodschas unter ihre Kontrolle zu bringen.

Rote Khmer beginnen Guerillakampf in Kambodscha (am 17.01.1968) WDR ZeitZeichen 17.01.2023 14:55 Min. Verfügbar bis 17.01.2099 WDR 5

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Die Nordvietnamesen beenden die Zusammenarbeit, als sie merken, dass ihnen die Roten Khmer bei ihrem Vorhaben – die Vertreibung der Amerikaner aus Kambodscha – zur Last fallen und ihnen deren politische Anschauungen zu extrem werden.

So kämpfen die Roten Khmer ab 1973 allein im Bürgerkrieg gegen die Regierung in Phnom Penh und nehmen die Hauptstadt schließlich am 17. April 1975 ein – zunächst sehr zur Freude der kambodschanischen Bevölkerung, die sich große Verbesserungen verspricht. Doch diese Erwartungen werden innerhalb kürzester Zeit brutal zunichte gemacht.

Rote-Khmer-Guerilla: Kampf gegen die Regierung | Bildquelle: dpa

Zwangsarbeit in der Landwirtschaft

Die neue Regierung um Pol Pot, der weitgehend im Hintergrund agiert, beginnt sofort mit der völligen Umgestaltung der Gesellschaft zu einem autarken radikal-kommunistischen Bauernstaat und nennt das Land zynischerweise "Demokratisches Kambodscha". Die Ideologie: bedürfnislose Gleichheit der Menschen.

3,5 Millionen Kambodschaner werden von den Roten Khmer, die unter den armen Bauern geeignete Opfer für das Erledigen der "Drecksarbeit" gefunden haben, wie Vieh von Phnom Penh aufs Land vertrieben – damit sie für die Partei keine Gefahr darstellen und in der landwirtschaftlichen Produktion eingesetzt werden können. Bald sind die Städte des Landes wie ausgestorben. Der Privatbesitz wird abgeschafft, ebenso das Geld und der freie Handel.

Alle Kambodschaner, die nicht unmittelbar politisch verfolgt werden, müssen unter strengster Bewachung auf den Reis- und Baumwollfeldern sowie im Straßenbau unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Dabei verhungern und verdursten viele, sterben an Krankheiten oder werden von den Aufsehern erschlagen. So entstehen die "Killing Fields": Die Getöteten werden direkt neben den Feldern, auf denen sie gearbeitet haben, begraben.

Nachdem anfangs die angeblichen politischen Gegner von den Roten Khmer umgebracht werden, sind es später auch die eigenen Leute, von denen zahlreiche plötzlich als Gefahr für das System gelten. Innerhalb von knapp vier Jahren lassen die Roten Khmer fast alle Angehörigen des bürgerlichen Mittelstandes ermorden sowie die religiösen und kulturellen Institutionen des Landes – bis auf Angkor – zerstören.

Hinweisschild auf einem "Killing Field" nahe Phnom Penh | Bildquelle: Mauritius

Die Guerilla kämpft weiter

Neben der radikal-kommunistischen Idee beherrscht starker Nationalismus das Denken der Roten Khmer. Dieser bringt sie dazu, 1978 einen Krieg mit Vietnam um das einst von Kambodschanern bewohnte Mekong-Delta zu beginnen. Die vietnamesischen Truppen begegnen kaum Widerstand, da Pol Pots Truppen zu diesem Zeitpunkt bereits schwach und ausgemergelt sind.

Am 7. Januar 1979 nimmt Vietnam die Hauptstadt Phnom Penh ein und beendet damit die Schreckensherrschaft – was jedoch nicht dafür sorgt, dass das Kapitel Rote Khmer endgültig vorbei ist. Die Mitglieder des Terrorregimes fliehen vor den Vietnamesen in den kambodschanischen Urwald, nach Thailand und China.

Um Pol Pot wird es zwar ruhig, doch die Guerilla-Armee der Roten Khmer terrorisiert noch bis 1996 das Land – mit Bürgerkrieg, um die Regierung zu stürzen sowie mit Ermordungen von Zivilisten und UN-Soldaten, die seit Anfang der 1990er Jahre zur Friedenssicherung und für den Wiederaufbau im Land sind.

Pol Pot stirbt am 15. April 1998 – ohne dass ihm der Prozess gemacht wurde. Ende desselben Jahres legen die letzten Guerilla-Einheiten der Roten Khmer die Waffen nieder, und die letzten Mitglieder der Führungsriege stellen sich den Regierungsbehörden.

Der lange Weg zum Tribunal

Die Forderung der Opfer und Flüchtlinge nach einem internationalen Tribunal wurden von westlichen Ländern lange nicht beachtet. Sogar ihren UN-Sitz durften die Roten Khmer noch bis zum Pariser Friedensabkommen von 1991 behalten. Einige Mitglieder wurden vom damaligen König Sihanouk (bis 2004) begnadigt, sodass hohe Funktionäre bis zum Beginn des Völkermordtribunals unbehelligt in ihren Villen leben konnten.

Nach langwierigen Verhandlungen begann das Tribunal 2006. Es folgten Skandale und Schwierigkeiten, die das Verfahren mehrfach fast zum Scheitern gebracht hätten. Erst im November 2007 wurde der erste Angeklagte öffentlich angehört: Duch, der Leiter des S-21, der für die Folter und Ermordung von insgesamt 18.000 Häftlingen mitverantwortlich sein soll.

Am 26. Juli 2010 wurde "Duch", der eigentlich Kaing Guek Eav heißt, zu 35 Jahren Haft verurteilt, von denen er aber nur noch 19 absitzen sollte. Nach einem Revisonsverfahren auf Betreiben der Staatsanwalt wurde das Strafmaß im Februar 2012 auf lebenslänglich erhöht. 2020 starb er im Gefängnis an einer langjährigen Lungenkrankheit.

Duch vor dem Tribunal | Bildquelle: dpa

(Erstveröffentlichung 2008, letzte Aktualisierung 09.08.2016)