Reisen im Mittelalter
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Geschwindigkeit und der Komfort beim Reisen extrem verändert. Das Reisen im Mittelalter war sehr beschwerlich und mühsam. Überwiegend waren Kaufleute, Soldaten und Pilger unterwegs. Frauen verreisten, abgesehen von adligen Damen, nur sehr selten.
Das Haupthindernis bei einer Reise war die Natur selbst. Das oberste Gebot lautete, dass man unterwegs nie die Orientierung verlieren durfte. Sonst wäre man in einer unbekannten Gegend, in der es keine Wegweiser und nur schlechte Straßen gab, verloren gewesen.
Hauptverkehrswege waren die "Viae Regiae", die Königswege, die zum Beispiel die Residenzen Hamburg, Kiel und Flensburg miteinander verbanden. Trotz des mondänen Namens waren das meist holprige Feldwege, auf denen die Reisenden bei Regen und Schnee im Matsch versanken.
Und überall lauerten Gefahren. Es gab Wegelagerer und Raubritter, die Kaufleute überfielen. Auch wilde Tiere wie Wildschweine und Bären, die für den Reisenden zu einer tödlichen Gefahr werden konnten, lebten in den Wäldern. Insofern war es durchaus üblich, dass man vor dem Beginn einer Reise sein Testament machte.
Allein Herbergen boten dem Reisenden ein bisschen Sicherheit auf seinem Weg. Auch war die Gastfreundschaft im Mittelalter sehr viel größer als heute. Fremde nahm man gerne auf und bewirtete sie.
Aufzeichnungen von Kaufleuten zeigen, dass das Wissen über "Weg und Steg", wie es damals hieß – also welche Wege genutzt werden konnten und welche Unterkünfte es gab – das größte Kapital für Kaufleute war. Dazu gehörte auch das Wissen darüber, an welcher Stelle Flüsse überquert werden konnten, da es im Mittelalter nur wenige Brücken gab. Die Reisenden waren deshalb meist auf Furten angewiesen. Städtenamen wie Frankfurt zeugen noch heute davon.
Eine Reise im Mittelalter dauerte sehr viel länger als heute. Zu Fuß schaffte ein Reisender pro Tag 30 bis 40 Kilometer zurück. Als Reiter war man kaum schneller. Um das Pferd nicht zu überlasten, konnten Reisende hoch zu Ross höchstens sieben Stunden pro Tag schaffen.
Wichtigstes Transportmittel – gerade für Kaufleute, die viele Waren transportierten – war der Ochsenkarren. Die zuverlässigen Lasttiere schafften in ihrem Trott gerade einmal 15 bis 16 Kilometer am Tag.
18. Jahrhundert: Bildungsreisen
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde es Mode, Bildungsreisen zu unternehmen. Viele Adelige und vornehme Reiche entdeckten die Lust am Reisen. Es waren vor allem Engländer, die sich aufmachten, die Kultur und Kunst des europäischen Festlandes zu entdecken. Häufig schickten sie auch ihre Kinder auf eine Grand Tour – eine Bildungsreise – quer durch Europa.
Zu den Orten, die man dabei angeblich gesehen haben musste, gehörten Florenz, Rom, Venedig, Wien, Nizza und Paris. Einer der bekanntesten Bildungsreisenden war Johann Wolfgang von Goethe, der sich im September 1786 auf den Weg nach Italien machte. Ursprünglich sollte die Reise einige Monate dauern, am Ende waren es fast zwei Jahre.
Oft ist zu lesen, dass Goethe nach Italien geflohen sei, doch davon kann kaum die Rede sein. Die Auszeit, die er sich nahm, war geplant. Sein oberster Dienstherr wusste genau, wo er sich befand.
Goethe wollte in Italien die Antike neu entdecken. Je länger er dort blieb, desto mehr entspannte er sich, desto mehr begann er sich auch für das Alltagsleben in Italien zu interessieren.
Goethe war sehr kreativ, er malte und schrieb. Seine Erlebnisse und Eindrücke fasste er in seinem biografischen Werk "Italienische Reise“ zusammen, die nach seiner Rückkehr veröffentlicht wurde.
Goethe liebte es auf Reisen sehr bequem. Er hatte sein eigenes Bett dabei und einen Koffer mit einem speziellen Fach für seinen Zylinder. Das alles transportierte er mit einer eigenen Kutsche, der sogenannten Extra Post, die gegenüber der Ordinari Post Vorfahrt hatte.
Weniger Betuchte reisten im 18. Jahrhundert sehr viel spartanischer als Goethe. Übliches Reisegepäck war ein einfacher Wolfsfelltornister, in dem sich meist ein Hemd, Wäsche zum Wechseln sowie eine Reiseapotheke befanden. Denn auf Zahnpulver, Emsersalz und andere diverse Mittel gegen Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme verzichtete man schon damals nicht mehr.
19. Jahrhundert: Luxusreisen
Richtige Vergnügungs- und Erholungsreisen etablierten sich im 19. Jahrhundert. Die Ziele wurden ausgefallener, der Rhein oder Italien genügten nicht mehr. Man wollte Spaß haben und etwas Ungewöhnliches erleben. Es ging mit dem Orient-Express nach Istanbul oder mit dem Dampfschiff nach Ägypten.
Literarisches Zeugnis der Luxusreisen sind Agatha Christies Krimis "Mord im Orientexpress" oder "Der Tod auf dem Nil". Die Autorin reiste selbst sehr viel nach Ägypten und Arabien. Ihr Mann, den sie häufig begleitete, war Archäologe. Was das Ambiente der beschriebenen Reisen angeht, die feine Gesellschaft mit ihren extravaganten Kleidern und teuren Anzügen, sind Agatha Christies Krimis sicher ein Spiegelbild dieser mondänen Reisen.
Der Herr und die Dame von Welt reisten damals meist mit zwei oder drei großen Schrankkoffern, um die zahlreichen Hutschachteln und Utensilien verstauen zu können: etwa Bürsten, Pülverchen, Schminke, Kämme oder das Rasierzeug der Herren.
20. Jahrhundert: Reisen für jedermann
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbrachte das wohlhabende Bürgertum bereits ein bis zwei Wochen in der Sommerfrische. Bevorzugte Reiseziele waren die mondänen Seebäder an Nordsee und Ostsee.
Die meisten Bürger konnten sich allerdings – abgesehen von den organisierten "Kraft durch Freude"-Touren der Nazis im Dritten Reich – erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reise leisten.
Die Ziele waren noch sehr bescheiden. Meist machte man den ersten Urlaub in einem der deutschen Mittelgebirge. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen im Ausland noch keine gern gesehenen Gäste. In Frankreich, Dänemark und den Niederlanden hielten die Animositäten gegenüber deutschen Touristen lange an.
Ende der 1950er-Jahre gab es für die Urlauber kein Halten mehr. Das Wirtschaftswunder machte das Reisen für jedermann erschwinglich. 1958 reisten schon 3,5 Millionen Bundesbürger nach Italien, dem "Sehnsuchtsland" der Deutschen im Süden. Sonderzüge brachten die Urlauber nach Südtirol und an den Gardasee.
Nach Italien entdeckten deutsche Touristen Mallorca. Noch in den 1960er-Jahren war eine Reise auf die Baleareninsel ein Geheimtipp für Entdecker. Deutsch wurde dort kaum gesprochen. Ende der 1970er-Jahre entdeckten schließlich die Festlands-Spanier den Tourismus als Einnahmequelle und die Deutschen kamen nur zu gerne.
Im Laufe der Zeit wurden die Ziele zunehmend exotischer. Es wurde eine Frage des Prestiges, sich eine Fernreise nach Thailand oder auf die Malediven zu leisten. Im Osten Deutschlands konnten die Menschen von Mallorca oder noch weiteren Reisezielen nur träumen.
Gezwungenermaßen verreisten die meisten zwischen der Ostsee und dem Thüringer Wald. Und von Luxus auf ihren Reisen – keine Spur. Selbst Campingplätze waren rar. Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch: Die "Villa Sachsenruh", ein Dachzelt für den Trabant, wurde in der DDR zum Renner.
Reisen heute
Heute ist in Sachen Reisen praktisch alles möglich – ob mit dem Schiff zu den Inuit in die Arktis, zu Fuß durch die Wüste Gobi oder Wanderungen im deutschen Mittelgebirge. Auch Wellnessangebote sind gefragt. Kaum ein Ferienort oder Hotel kann sich dem Thema Gesundheit auf Reisen entziehen.
Extremurlaube wie Höhlenwandern, Freiklettern oder Wildwasserschwimmen stehen bei jenen hoch im Kurs, die den Nervenkitzel auf ihrer Reise suchen und ihre eigenen Grenzen ausloten wollen.
Doch die medienwirksamen Abenteuerreisen werden lange nicht so häufig gebucht, wie uns die Branche glauben machen will. Die Erholung rangiert bei den meisten Reisenden ganz oben. Hauptsache, die Sonne scheint und das Meer liegt vor der Haustür.
Günstig und online
Seit den 1990er-Jahren haben zwei Trends den Reisemarkt gehörig durcheinandergewirbelt: Die Preise für Flugreisen sind rapide gefallen – dank Billiganbietern ist Fliegen kein Privileg der Reichen mehr. Gleichzeitig buchen viele Menschen ihren Urlaub im Internet, was die großen Tourismusunternehmen zunehmend in Bedrängnis bringt.
Reisen ist dadurch hektischer und individueller geworden. Der dreiwöchige Sommerurlaub in den Bergen oder am Meer hat ausgedient. Stattdessen leistet man sich im Frühjahr einen Städtetrip, im Herbst ein Wellness-Wochenende, im Winter ein paar Tage Skifahren und im Sommer einen Abstecher an den Strand. Gebucht wird oft erst kurz vor Reiseantritt – nach Preisvergleich am heimischen PC.
Ob sich so die heiß ersehnte Erholung einstellt oder das Reisen vielmehr zum zusätzlichen Stressfaktor wird, daran scheiden sich die Geister. Sicher ist: Die knappe Urlaubszeit ist heute mit so vielen Erwartungen verbunden wie kaum je zuvor. Reisen soll ebenso bilden wie entspannen, den letzten Kick bringen und noch dazu vor allem eins sein: authentisch.
Von dieser Forderung wiederum profitiert der wachsende Markt alternativer Reiseanbieter – der Trend geht zum "sanften Tourismus". Umfragen zufolge sind viele Deutsche bereit, für umwelt- und sozialverträgliche Ferien etwas tiefer in die Tasche zu greifen.
Und wer es richtig abenteuerlich haben will, kann in Internetbörsen für die Urlaubszeit seine Wohnung tauschen oder Gastgeber finden, bei denen man kostenlos auf der Couch übernachten darf. Beim Reisen ist heute fast alles möglich – und so sollte es in den schönsten Wochen des Jahres ja eigentlich auch sein.
(Erstveröffentlichung 2009, letzte Aktualisierung 10.10.2019)