Zerstörte Industrieanlage in Essen nach dem Zweiten Weltkrieg

Nachkriegszeit

Wiederaufbau

1945 lag Deutschland in Schutt und Asche. Bei den Luftangriffen waren viele Stadtviertel fast völlig zerstört worden, die Innenstädte waren nur noch Ruinenfelder.

Von Claudia Heidenfelder

Wiederaufbau, aber wie?

Von einem eigenen Dach über dem Kopf konnten die meisten Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg nur träumen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebte in Notunterkünften, sogenannten "Nissenhütten". Schnell mussten Trümmer beseitigt und Städte wieder aufgebaut werden.

In den 1950er-Jahren begann ein unglaublicher Bauboom: Innerhalb von 15 Jahren entstanden drei Millionen Wohnungen in der BRD.

Über den Wiederaufbau der zerstörten Städte wurde im Nachkriegsdeutschland viel diskutiert. Wie Gebäude, Wohnviertel und Städte in Zukunft aussehen sollten, darüber stritten Politiker, Bürger, Architekten und Stadtplaner. Einige sahen in den zerstörten Städten die Chance für einen Neubeginn: Auf den frei geräumten Flächen schien nun Platz zu sein für moderne und zeitgemäße Architektur.

Traditionalisten dagegen wollten die Städte nach Möglichkeit genauso oder ähnlich aufbauen, wie sie vor dem Krieg ausgesehen hatten. Eine Debatte entbrannte zwischen Verfechtern von radikalem Neuanfang und Anhängern der Rekonstruktion.

Ein anderes Problem war der Mangel an Fachleuten. Viele Architekturstudenten und junge Planer waren im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten. So achtete man kaum auf den politischen Hintergrund der Personen.

In vielen Städten Deutschlands konnten die Architekten der NS-Zeit nach 1945 unbehelligt weiter planen und bauen. Sie wurden relativ schnell als Mitläufer eingestuft und auf diese Weise entnazifiziert. Häufig entschieden die gleichen Leute über den Wiederaufbau, die schon vor 1945 in den Bauämtern gesessen hatten.

"Stunde Null" der Planung?

Auch wenn manche Architekten kühne Visionen einer neuen Stadt vor Augen hatten – die Realität holte sie schnell ein. Ein radikaler Neuanfang scheiterte an ganz pragmatischen Dingen: So schnell wie möglich mussten für Tausende von Flüchtlingen und Ausgebombten Wohnungen gebaut werden.

Die Infrastruktur war zum Großteil erhalten geblieben. Straßennetz, Wasser- und Abwasserleitungen waren noch intakt und ermöglichten einen raschen Wiederaufbau.

Zudem hatte das Grundstückseigentum Vorrang, die Besitzer protestierten gegen alle Versuche, den Grund zu planerischen Zwecken neu aufzuteilen. Die Stimmung in der Bevölkerung war eher traditionsbewusst, man wandte sich gegen Veränderungen und wünschte sich das Altbekannte zurück.

Ein Mehrfamilienhaus aus den 1950er-Jahren

Typische Architektur der 1950-Jahre

Rekonstruktion

Viele alte Gebäude wurden rekonstruiert. Zumindest historisch bedeutende Bauten wollte man der Nachwelt erhalten. Dazu gehörte auch das Neue Schloss in Stuttgart. Das Schloss war nach einem Luftangriff völlig ausgebrannt, nur noch die Außenmauern standen.

Um diese Ruine entstand eine heftige Debatte: Modern eingestellte Architekten meinten, das Schloss sei ein Zeichen des Absolutismus und nicht mehr zeitgemäß in einer Demokratie.

Die Befürworter des Wiederaufbaus dagegen wollten diesen Teil des alten Stadtbildes retten und setzten sich schließlich durch: Das Neue Schloss wurde zwischen 1958 und 1964 wieder aufgebaut. Solche Diskussionen gab es in den 1950er-Jahren häufig.

Wer rekonstruierte, setzte sich allerdings dem Verdacht aus, er wolle den Grund der Zerstörung – die Verbrechen der NS-Zeit – verdrängen oder beseitigen. Rekonstruktion war deshalb ein politisch und moralisch belastetes Thema.

Neues Schloss in Stuttgart.

Das Neue Schloss in Stuttgart wurde wieder aufgebaut

Durchgeplante Städte

In einigen Städten nutzte man die Kriegszerstörungen tatsächlich zu einem radikalen Neuanfang. Dabei wurden historische Stadtkerne völlig umgestaltet. Autogerecht, aufgelockert und durchgrünt sollten die Städte sein. Das Zauberwort hieß "Funktionstrennung" und bedeutete räumliche Trennung von Arbeit, Wohnen und Erholung.

Diese Ideale hatte auch Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht vor Augen, als er seiner Heimatstadt Hannover ein neues Gesicht verpasste. Auf dem Reißbrett entstanden ganze Viertel neu. Mehrspurige Straßen und riesige Autokreisel verbanden die Trabantenstädte mit der Innenstadt.

"Das Wunder von Hannover" titelte 1959 der Spiegel über den Kraftakt der Stadtplanung. Heute noch ist Hannover Inbegriff einer gegliederten 1950er-Jahre-Stadt und ein Mekka für Architekturinteressierte.

Blick auf das von dunklen Regenwolken überdeckte Hannover.

Heute noch Inbegriff einer gegliederten 1950er-Jahre-Stadt: Hannover

Kontinuität der Moderne

Völlig neu war der Gedanke von der durchgeplanten Stadt allerdings nicht. Schon in den 1920er-Jahren sollten Wohnsiedlungen im Grünen der Bevölkerung Luft, Licht und Gesundheit bringen.

Lockere Bebauung statt enger, dunkler Mietskasernen – so der Leitgedanke der Moderne und des "Neuen Bauens". Berühmte Bauhaus-Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe, Bruno und Max Taut oder Walter Gropius gehörten dieser Bewegung an.

Auf die Ideen der Moderne griff der Arbeitsstab um Albert Speer zurück, als er schon während des Kriegs in Wriezen bei Berlin den Wiederaufbau plante. So entstand eine Studie mit dem Titel "Die gegliederte und aufgelockerte Stadt".

Eine lockere Bauweise sollte vor allem verhindern, dass Feuersbrünste nach Bombardierungen ganze Wohnviertel niederbrannten. Damit wurden wesentliche Grundlagen für die Planung und den Wiederaufbau nach 1945 geschaffen.

Hochhaussiedlung "Gropiusstadt" in Berlin.

Hochhaussiedlung "Gropiusstadt" in Berlin

Quelle: SWR | Stand: 23.03.2020, 12:50 Uhr

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