Nachkriegszeit
Trümmerfrauen
Als im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war Deutschland eine Ruinenlandschaft. Viele Großstädte lagen in Schutt und Asche. Weil viele Männer gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren, machten sich die überlebenden Frauen daran, die Trümmer des Krieges wegzuräumen.
Von Malte Linde und Anette Kiefer
Wer waren die Trümmerfrauen?
Dieses Bild hat unsere Vorstellung der Trümmerfrauen geprägt: Mit bloßen Händen und wenigen Werkzeugen räumen die Frauen die Schutthaufen in den zerstörten Städten Stein für Stein weg. Stahlträger, Mauerreste und Balken tragen sie aus den Ruinen. In kleinen Eimern reichen sie Schutt von Hand zu Hand und ziehen schwer beladene Wagen und Loren mit der eigenen Körperkraft.
Doch das ist offenbar nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Häufig waren professionelle Firmen mit technischem Großgerät und Fachkräften die Hauptakteure bei der Trümmerräumung, sagt die Essener Historikerin Leonie Treber, die zahlreiche alte Dokumente geprüft hat.
Und viele Trümmerfrauen seien keineswegs selbstlos zupackende Hausfrauen gewesen, die freiwillig den Schutt wegräumten. Ehemalige Nazi-Funktionärinnen, aber auch der Rest der Bevölkerung, wurden von den Alliierten regelmäßig zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichtet.
So oder so: Die Kriegstrümmer waren das Material für den Wiederaufbau. Damit die Ziegelsteine wieder verwendet werden konnten, musste der Mörtel mit dem Hammer abgeklopft oder mit Messern abgekratzt werden. Für diese harte Arbeit wurden die Trümmerfrauen mit einem Stundensatz von rund 70 Pfennig entlohnt – wenig Geld, auch für die Verhältnisse der ärmlichen Nachkriegstage.
Immerhin stiegen die Lebensmittelrationen für die registrierten Trümmerfrauen, die als Schwerstarbeiter im Verhältnis zu Hausfrauen fast die doppelte Ration Fett bekamen, auf etwa 400 Gramm pro Monat. Den Trümmerfrauen standen pro Tag außerdem 100 Gramm Fleisch und ein halbes Kilo Brot zu, mit dem sie oft genug nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kinder durchbringen mussten.
Trümmerfrauen 1945 in Berlin
Unterschiedliche Mythenbildung in Ost und West
Ab Ende der 1940er-Jahre waren Trümmerfrauen nur noch selten im Straßenalltag zu sehen. Jetzt begann der Aufstieg der Figur "Trümmerfrau" zu einem Mythos, der neben der Währungsreform und dem Wirtschaftswunder zu den Gründungslegenden der deutschen Nachkriegszeit gehört.
In den folgenden Jahrzehnten wurde der Tonfall dieser Legende ständig umgestrickt. Mit dem Kalten Krieg geriet sie mehr und mehr zwischen die Fronten des geteilten Deutschlands, diente der Glorifizierung und Abgrenzung unterschiedlicher Gesellschaftsentwürfe und Frauenrollen.
Im Westen sollte Anfang der 1950er möglichst nichts mehr an den Krieg erinnern. Der Marshallplan sollte den Deutschen den Wohlstand bringen – und Trümmerfrauen "sollte es doch nun endlich nicht mehr geben", hieß es in einem Nachrichtenfilm der "Neuen Deutschen Wochenschau" 1951. Arbeitende Frauen wurden von vielen als Bedrohung der Institution Familie gesehen.
Das Wirtschaftswunder tilgte die Kultur der hart arbeitenden, selbständigen Frauen vollends. Für die nächsten Jahrzehnte blieb es bei der traditionellen Rollenverteilung: Der Mann ging zur Arbeit, die Frau führte daheim den Haushalt.
Ganz anders im Osten: Hier war die Regierung noch lange auf die Arbeitskraft der Frauen beim Trümmerräumen angewiesen. Und die arbeitende Frau in ehemals männlichen Berufsfeldern passte ohnehin besser ins sozialistische Weltbild. So stilisierte man die Trümmerfrau hier zum Ideal und zum Prototypen einer neuen, gleichberechtigten Frau.
Mit der Rentendebatte der 1980er wurde die Trümmerfrau schließlich zum Symbol einer ganzen Generation von Frauen, die für ihre Aufbauleistung nach dem Krieg nie finanziellen Ausgleich erhalten hatte. Und erst im Jahr 1987 gab es in Form einer Rentenerhöhung auch eine kleine materielle Anerkennung für die Trümmerfrauen, die noch lebten.
Ruinenlandschaft – nach dem Krieg ein gewohntes Bild
(Erstveröffentlichung 2005. Letzte Aktualisierung 23.03.2020)
Quelle: WDR