Geschichte des Mittelmeerraums

Planet Wissen 16.03.2023 02:40 Min. UT Verfügbar bis 20.01.2027 WDR

Mittelmeer

Geschichte des Mittelmeers

Ägypten, Phönizien, Mazedonien, Römisches Reich: An den Ufern des Mittelmeers haben sich viele Völker entwickelt. Das Gebiet ist seit Jahrtausenden ein kultureller und wirtschaftlicher Treffpunkt europäischer, asiatischer und afrikanischer Zivilisation.

Von Hernán J. Martín

Die ersten Siedler und Seefahrer im Mittelmeerraum

Die ersten Spuren menschlichen Lebens in der Mittelmeer-Region sind rund 400.000 Jahre alt. Zu dieser Zeit lebten die Menschen dort noch als Nomaden und zogen von Ort zu Ort. Erst vor 19.000 Jahren ließen sich die ersten Siedler nieder – in dem Gebiet des heutigen Ägyptens.

Diese Region war sehr fruchtbar, sodass die Siedler Getreide anbauen konnten. Diese frühen sesshaften Gruppen waren der Ausgangspunkt der ägyptischen Zivilisation, einer der ersten großen Zivilisationen des Mittelmeers. Sie hinterließen Spuren wie Bauten und Kunstwerke, die sich bis heute bewundern lassen – beispielsweise Pyramiden, Skulpturen und ganze Tempelstädte.

Es waren jedoch nicht die Ägypter, sondern das Volk der Sumerer, das Historiker als Ausgangspunkt der Hochkulturen des Mittelmeerraums betrachten. Und das, obwohl die Sumerer nicht an den Küsten, sondern in Mesopotamien lebten – einem Gebiet zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris im heutigen Irak und Syrien.

Die Sumerer entwickelten um das 4. Jahrtausend vor Christus die Keilschrift, eine der ältesten Formen der Schrift. Das geschriebene Wort war die Grundlage dafür, Wissen zu vermitteln und Ereignisse aufzuzeichnen. Im Laufe der Zeit bewegte die sumerische Schrift andere Mittelmeer-Völker dazu, ihre eigenen Schriftzeichen entwickelten.

Sumerische Keilschrift

Die sumerische Keilschrift inspirierte auch andere Völker

Neben der Schrift gab andere wichtige Fortschritte in der östlichen Mittelmeerregion: Die Menschen bauten Kichererbsen, Weizen und Gerste und an und domestizierten Tiere wie Kühe, Pferde und Schweine. Diese Formen der Landwirtschaft und Viehzucht verbreiteten sich im ganzen Mittelmeerraum und waren entscheidend für die weitere Entwicklung der Region.

Doch damit sich all dieses Wissen im gesamten Mittelmeerraum verbreiten konnte, war eine weitere grundlegende Technologie erforderlich: die Schifffahrt. Erst Segelschiffe ermöglichten es, zu weiter entfernten Orten zu gelangen und Handel zu treiben. Dank des Austauschs von Waren begannen die verschiedenen Mittelmeer-Völker, miteinander in Kontakt zu treten, Wissen zu teilen und Gemeinsamkeiten zu entwickeln.

Die erste Zivilisation, die im Mittelmeerraum das Segelschiff entwickelte, waren die Minoer auf der Insel Kreta im Jahr 2000 vor Christus. Historiker gehen davon aus, dass sie bereits um 1700 vor Christus mit den Ägyptern Handel trieben.

Miniaturnachbau einer Trireme, ein Bootstyp, der von den antiken Zivilisationen des Mittelmeers verwendet wurde.

Die Schifffahrt ermöglichte den Handel mit weit entfernten Zivilisationen

Die ersten großen Seefahrer des Mittelmeers waren jedoch die Phönizier, die die Küste der Levante im Osten besiedelten. Das Gebiet entspricht dem heutigen Libanon, mit angrenzenden Teilen des heutigen Syriens und Israels. Unter den phönizischen Städten ist Karthago eine der bekanntesten. Sie wurde im Jahr 814 vor Christus auf dem Gebiet des heutigen Tunesiens gegründet.

Die Phönizier fuhren vom Nahen Osten bis zur Iberischen Halbinsel, gründeten Häfen und legten Handelsrouten entlang der Küsten an. Sie verbanden so das Mittelmeer von Osten nach Westen. Durch ihren Handel tauschten die Phönizier nicht nur Waren aus, sondern gaben auch ihr Alphabet an die anderen Mittelmeerkulturen weiter. Es ist der Vorfahre des griechischen Alphabets und damit aller westlichen Schriftsysteme.

Das Mittelmeer in der Antike

Im 4. Jahrhundert vor Christus eroberte Alexander der Große, König von Mazedonien, das Gebiet der Phönizier. Er nahm auch Persien und Ägypten ein und schuf so ein Imperium. Dann starb er plötzlich im Alter von 32 Jahren und ohne rechtmäßigen Erben im Jahre 323 vor Christus. Die Kämpfe zwischen den Anwärtern auf seine Nachfolge endeten mit der Spaltung seines Reiches.

Die Griechen errichteten wie die Phönizier Seewege und gründeten Stadtstaaten rund um das Mittelmeer, die sie Polis nannten. Die Polis erstreckten sich von den Küsten, die heute zu Spanien und Frankreich gehören (Ampurien und Marseille) bis zu Gebieten der heutigen Türkei (Ionien).

Die Griechen begannen mit der sogenannten Hellenisierung des Mittelmeerraums: Sie wollten die Region durch die Verbreitung der griechischen Kultur und Religion angleichen. Dadurch verbreiteten sich in vielen Gegenden auch ihre Lehren der Philosophie, Religion und Demokratie.

Das antike Griechenland

01:59 Min. UT Verfügbar bis 14.10.2027 Von Anja von Kampen/VisionX

Im Jahr 146 vor Christus löste das Römische Reich die Griechen als dominierende Mittelmeerkultur ab. In diesem Jahr endete der dritte Punische Krieg zwischen Rom und Karthago um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum mit der Niederlage der Karthager.

Die Römer verbreiteten fortan ihre Kultur und Religion in allen Ecken ihres Reiches. In ihrer Blütezeit stand die gesamte Mittelmeerküste unter dem Einfluss des Römischen Reiches. Es ist das einzige Mal in der Geschichte des Meeres, dass alle seine Territorien unter einer Herrschaft standen.

Die römische Herrschaft führte dazu, dass sich das Machtzentrum in der Region von den östlichen Küsten nach Westen verlagerte. Die Römer hinterließen ein umfangreiches Erbe in der Region. Ihre Sprache, Latein, ist die Wurzel vieler moderner Sprachen wie Italienisch, Spanisch und Französisch.

Sie hinterließen ihre Spuren auch in der Architektur, der Kunst und der Infrastruktur. Überall im Mittelmeerraum gibt es zahlreiche römische Ruinen, die noch erhalten sind und von der fortschrittlichen Zivilisation zeugen.

Karte des Römischen Reiches unter Kaiser Augustus.

Das Römische Reich war das einzige, das Einfluss auf alle Mittelmeerküsten hatte

Der Untergang des Römischen Reiches

Auf religiöser Ebene dominierte zunächst die polytheistische Religion Roms, die mehrere Götter verehrte. Diese wurde nach und nach von anderen Glaubensrichtungen ersetzt.

Im 4. Jahrhundert bestimmte Konstantin der Große das Christentum als offizielle Religion des Römischen Reiches. Im Laufe der Zeit etablierten sich im Mittelmeerraum die drei heute vorherrschenden monotheistischen Religionen, die nur einen Gott verehren: Christentum, Judentum und Islam.

Mit dem Tod des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus im Jahr 476 nach Christus ging das Weströmische Reich unter. In der Folge wurde der Mittelmeerraum nach langer Zeit wieder aufgeteilt. Der westliche Teil wurde von westgotischen und anderen germanischen Stämmen aus Nordeuropa besetzt.

Der östliche Teil des Römischen Reiches überlebte die Umgestaltung des Byzantinischen Reiches mit der Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul). Ab dem 7. Jahrhundert übernahmen islamische Armeen die Kontrolle über den Osten und Nordafrika. Sie überquerten auch die Straße von Gibraltar auf die Iberische Halbinsel und errichteten verschiedene muslimische Reiche.

Während des Mittelalters machten islamische Gelehrte große Fortschritte in Wissenschaft, Philosophie und Medizin. Sie zeichneten sich auch durch ihre Beiträge zur Mathematik aus. Ihr Zahlensystem gilt als einer der bedeutendsten Fortschritte auf diesem Gebiet. Sie beeinflussten die Region auch durch den Handel, indem sie nicht-heimische Pflanzen wie Reis oder Baumwolle einführten.

Es gibt zwar Gebiete, in denen die drei Religionen Judentum, Islam und Christentum zeitweise friedlich zusammenlebten – wie etwa in Gebieten der Levante und der Iberischen Halbinsel. Trotzdem führten auch religiöse Unterschiede zu einer Zersplitterung der Region und zur Entwicklung unterschiedlicher Kulturen im Mittelmeerraum.

Riesige Halle der Mezquita in Cordoba mit zahlreichen verzierten Säulen.

Die Mezquita in Córdoba war einst die größte Moschee der Welt

Die Neue Welt und der Abstieg des Mittelmeers als Handelszentrum

Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich neue Navigationstechniken, die Seeschifffahrt im großen Stil ermöglichten. Diese Fortschritte führten auch zu historischen Ereignissen wie der Eroberung Amerikas (1492) und der Umrundung des afrikanischen Kontinents (zwischen 1497 und 1499). Infolgedessen wurden zahlreiche neue Handelsrouten eingerichtet.

Mit der Eroberung Amerikas schufen Länder wie Großbritannien, Portugal, Frankreich, Spanien und die Niederlande große Kolonialreiche, die vom Mittelmeer unabhängig waren. Der wachsende Handel in den nordeuropäischen Ländern bereicherte diese Regionen. Der Zuwachs an wirtschaftlicher Macht führte auch zu einem Anstieg ihres politischen Einflusses.

So verlor das Mittelmeer als Handelszentrum allmählich an Bedeutung. Durch den wirtschaftlichen und politischen Einbruch wurde auch anderen Bereiche weniger Aufmerksamkeit geschenkt, die im Mittelmeerraum hoch entwickelt waren – wie Philosophie, Wissenschaft, Technik und Kunst. Das Macht- und Kulturzentrum verlagerte sich von den Mittelmeerküsten in nördlichere Regionen Europas.

Entdeckung des Seeweges nach Indien 1497/98: Abfahrt Vasco da Gamas in Lissabon am 8. Juli 1497.

Durch neue Handelsrouten verlor das Mittelmeer an Bedeutung

Die heutigen Herausforderungen für den Mittelmeerraum

Gegenwärtig steht der Mittelmeerraum vor mehreren Konflikten. Zwischen dem Süden und dem Norden ist eine große wirtschaftliche und soziale Ungleichheit entstanden, die zu Migration und Flucht führt.

Auch aus ökologischer Sicht befindet sich das Mittelmeer an einem kritischen Punkt. Die Umweltverschmutzung, invasive Arten und die Überfischung sind nur einige der Herausforderungen, mit denen es konfrontiert ist.

Der Klimawandel wirkt sich auf die Regionen rund um das Mittelmeer aus. Die Sommer werden heißer und trockener und führen häufiger zu Dürren und Bränden. Der steigende Meeresspiegel bedroht Küstendörfer und -städte. Das könnte in Zukunft zu weiterer Flucht und Migration in Richtung Norden führen.

Der britische Historiker David Abulafia äußerte sich in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País pessimistisch über die Zukunft des Mittelmeeres: "Die Länder der nördlichen und südlichen Küsten sind voneinander getrennt und ihre natürlichen Beziehungen zerrissen. Der politische und wirtschaftliche Schwerpunkt Europas ist nicht mehr der Mittelmeerraum, sondern liegt im Norden", so Abulafia. "Das Mittelmeer ist irrelevant geworden. Ich glaube, es ist ein Raum, der langsam zerfällt."

Derzeit gibt es Initiativen, die die Länder der Region zusammenbringen wollen, um den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen ihnen zu fördern. Ein Beispiel ist die 2008 gegründete Union für den Mittelmeerraum, in der alle EU-Länder sowie 15 Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraums vertreten sind.

Eine weitere Initiative sind die Mittelmeerspiele. Das ist eine Sportveranstaltung, die seit 1951 alle vier Jahre organisiert wird. Ziel dieser Veranstaltung ist es, junge Athleten aus den Mittelmeerländern zusammenzubringen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ungeachtet kultureller, religiöser oder sprachlicher Unterschiede Freundschaften schließen können.

Treffen der Union für den Mittelmeerraum.

Die Union für den Mittelmeerraum trifft sich zum 25. Jubiläum des Barcelona-Prozesses

(Erstveröffentlichung 2021. Letzte Aktualisierung 11.10.2021)

Quelle: WDR

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