Die schneebedeckte Eiger Nordwand.

Klettern

Die Eigertragödie von 1957

Zwei Jahre lang hing die Leiche des italienischen Bergsteigers Stephano Longhi weithin sichtbar in der Eiger-Nordwand.

Von Bettina Wiegand

Die Eiger-Tragödie von 1957 war voller Rätsel und Merkwürdigkeiten. Sie begann am 3. August, als Stephano Longhi zusammen mit seinem Gefährten Claudio Corti in die Eiger-Nordwand einstieg.

Die unerfahrenen Kletterer gerieten zunächst auf eine falsche Route, mussten biwakieren und sich am nächsten Morgen wieder ein Stück abseilen. Als sie schließlich wieder den Originalweg erreicht hatten, trafen sie dort auf zwei andere Bergsteiger, die Deutschen Günther Nothdurft und Franz Mayer.

Nach der späteren Aussage von Cortis hatten die Deutschen ihre Rucksäcke mit der Ausrüstung verloren und so beschloss man später, gemeinsam weiterzusteigen. Doch Cortis' Beschreibungen sind widersprüchlich und ungenau. Und vieles stimmt auch nicht mit den Aussagen der Beobachter überein, die das folgende Drama von der Passhöhe "Kleine Scheidegg" aus mit Fernrohren verfolgten.

Die vier kamen nur langsam voran, "weil Nothdurft schwächelte", wie Corti später behauptete. Trotz Schwäche stiegen die Deutschen am Mittag des 8. August vor, wurden aber von Corti wieder eingeholt. Als Stephano Longhi nachsteigen wollte, rutschte er aus und stürzte. Es gelang Corti nicht, seinen Gefährten über den Überhang zu sich zu ziehen.

Auf dem kleinen Standplatz, auf den Corti ihn abließ, lebte Stephano Longhi noch qualvolle Tage. Zu dritt setzten die anderen ihren Weg fort. Doch dann wurde auch Corti bei einem Steinschlag am Kopf verletzt. Die beiden Deutschen überließen Corti ihren Biwaksack.

Im Gipfelrausch gingen sie zu zweit weiter. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Die deutschen Bergsteiger schafften es zwar mit letzter Kraft auf den Gipfel, doch für den Abstieg reichte es nicht mehr. Sie starben in der Kälte an Erschöpfung. Ihre Leichen wurden 1961 gefunden.

Claudio Corti konnte aus der Wand gerettet werden. Es war die erste erfolgreiche Rettung an der Nordwand überhaupt. Für seinen Freund Stephano Longhi jedoch kam jede Hilfe zu spät. Die Retter hörten nur noch seine legendär gewordenen letzten Worte "fame, freddo" (Hunger, Kälte), dann starb er vor ihren Augen an Erschöpfung. Seine Leiche hing wie ein makaberes Mahnmal zwei Jahre lang in der Wand und wurde erst 1959 bei einer groß angelegten Aktion geborgen.

(Erstveröffentlichung 2003, letzte Aktualisierung 22.07.2019)

Quelle: SWR

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