Ein Mädchen sitzt mit einer Lupe über einem aufgeschlagenen Buch, dahinter eine Tafel voller Mathematikformeln

Forschung

Mathematik

Mathematik ist viel mehr als das Einmaleins in der Schule, als Textaufgaben und Integrale lösen. Sie gehört zum ältesten und wichtigsten Kulturgut der Menschheit. Unser Alltag steckt voller mathematischer Phänomene und Wunder.

Von Susanne Decker

Speerspitze gegen Mammutzahn

Mathematik hat viel mit unserem "Menschsein" zu tun und damit, wie wir uns in unserer Umwelt zurechtfinden. Wie wäre es zunächst mit einer kleinen Zeitreise? 30.000 Jahre in die Vergangenheit. Als Mensch der Steinzeit wissen Sie geschickt mit einfachen Werkzeugen umzugehen.

Sie haben Sinn für Muße und Kultur und haben inzwischen auch schon den Handel mit Gütern entdeckt. Ihre Jagd war heute erfolgreich und Sie haben inzwischen einen stolzen Bestand von mehreren Mammutzähnen angehäuft.

Ihre Familie müsste allerdings mal wieder dringend mit warmem Wolfsfell eingekleidet werden. Sie finden auch jemanden, der genug davon hat und auch Speerspitzen anbietet.

Mit Ihrem großen Mammutzahn über der Schulter verhandeln Sie nun, wie viel Wolfsfell und Speerspitzen so ein Mammutzahn wohl wert ist. So ungefähr kann man sich die Geburtsstunde der Mathematik vorstellen.

Eins, zwei, drei... viele

Wer bei solchen Verhandlungen nicht übers Ohr gehauen werden wollte, musste genau zählen können. Auch große Mengen an Mammutzähnen, Speerspitzen und Wolfsfellen.

Das Problem: Das intuitive Erfassen von Zahlenmengen hört bei uns Menschen (davon unterscheidet uns heute auch nichts vom Steinzeitmenschen) schon bei "drei" bis "vier" auf. Was darüber hinausgeht, können wir spontan nicht mehr genau erfassen.

Man fing also vor 30.000 Jahren an, die Anzahl von Dingen mit einem abstrakten Symbol darzustellen. Zum Beispiel mit Steinchen, die man für jeden Mammutzahn beiseite legte. Waren die Zähne weg, lagen die Steinchen noch da.

Statt Steinchen konnte man auch noch vieles andere benutzen. Stöckchen, Muschelschalen, Pflanzensamen und so weiter.

Eine Hand hält eine Menge von Pflanzensamen

Auch Pflanzensamen wurden als Zählhilfe genutzt

Irgendwann ging man dazu über, zum Zählen Kerben in ein Stück Knochen zu ritzen (ein solcher 30.000 Jahre alter Wolfsknochen wurde in Tschechien gefunden). Das war die erste Rechenmaschine in der Menschheitsgeschichte.

Zählen mit Wolfsknochen und arabischen Ziffern

Auf den Wolfsknochen zur Zahlenkonservierung folgten weitere ausgeklügelte Rechen-Strategien. Jede Kultur entwickelte dabei ihre eigene Methode. Die Inka zum Beispiel rechneten mit Knoten, die sie in Schnüre knüpften.

Je nach Anzahl und Lage der Knoten konnte man den Zahlenwert bestimmen. Forscher gehen heute davon aus, dass die Inka sogar ihre Steuererklärung knoteten.

Im alten Ägypten wurde mit Hieroglyphen gerechnet. Die Babylonier rechneten vor 4000 Jahren mit Keilschrift-Symbolen. Sie erkannten darüber hinaus schon die Nützlichkeit eines Stellenwertsystems. Mit dem kann man alleine an der Position einer Ziffer in einer Zahl ihren Wert erkennen.

Die Römer kannten das Stellenwertsystem noch nicht und verwendeten zum Zählen Buchstaben (I,V,X,L,C, D, M - "I" steht für 1, "V" für 5, "X" für 10, "L" für 50, "C" für 100, "D" für 500 und "M" für 1000). Das sieht zwar hübsch aus, aber es ist schwer, damit zu rechnen.

Altes Steinrad mit römischen Monatszahlen

Die Römer verwendeten zum Zählen Buchstaben

In Fünfer- oder Zehnerschritten wurde in der Geschichte der Menschheit oft gezählt. Das ist auf die Anzahl unserer Finger zurückzuführen. Mit einem Zehner-System (Dezimalsystem) rechnen wir auch heute noch.

Und mit Zahlen-Symbolen, die vor etwa 900 Jahren aus Indien über Arabien nach Europa kamen. So vertraut uns unsere heutigen Zahlen und das Rechnen mit Ihnen auch vorkommen mag: Es ist nur eine Variante von vielen.

Lottokugeln mit aufgedruckten Zahlen

Zahlen gibt es überall in unserem Alltag

Pythagoras als Vater der Logik

Je mehr die Menschen mit den Zahlen zu tun hatten, desto besser konnten sie damit umgehen. In der antiken Welt waren es vor allem die Ägypter und Babylonier, die schon komplizierte Berechnungen durchführen konnten. Deren ausgeklügelte Buchhaltungsverfahren und hoch entwickeltes geometrisches Kalkül faszinierte den griechischen Philosophen Pythagoras von Samos.

Pythagoras lebte im 6. Jahrhundert vor Christus und bereiste damals weite Teile der antiken Welt. Dabei studierte und sammelte er fast alle der damals bekannten mathematischen Methoden. Später gründete er in Süditalien eine Schule, in der er sein Wissen über die Zahlen, unter strengem Ausschluss der Öffentlichkeit, an den auserwählten Kreis seiner Schüler weitergab.

Mit ihnen zusammen versuchte er nicht nur die Beziehungen der Zahlen untereinander zu entschlüsseln, Pythagoras wollte die ganze Natur und den Kosmos allein mit rationalen Zahlen und geometrischen Figuren erklären können.

Eines Tages allerdings entdeckte Hippasus, einer von Pythagoras’ Schülern, dass die Wurzel aus 2 irrational sein musste – sie war also nicht durch einen Bruch zweier ganzer Zahlen beschreibbar. Und eigentlich hätte sich Pythagoras über solch eine bahnbrechende Entdeckung freuen können.

Allerdings sah er sein Weltbild jäh erschüttert und traf, wohl um die alte Ordnung wieder herzustellen, eine frevelhafte Entscheidung: Er ließ Hippasus kurzerhand umbringen.

Fotografie einer antiken Marmorbüste von Pythagoras.

Wurde für seine Mathematik zum Mörder: Pythagoras

Abenteuer Mathematik

Seit Pythagoras mit seinen Zahlentheorien das erste goldene Zeitalter der Mathematik einläutete, sind zweieinhalb Jahrtausende vergangen. Heute ist Mathematik die treibende Kraft hinter all unseren modernen Technologien.

Physik, Chemie und Biologie sind undenkbar ohne Mathematik. Trotzdem: Mathematik wirkt manchmal sehr trocken und vermittelt oft mehr Angst als Begeisterung.

Ganz anders dagegen sehen das die Mathematik-Begeisterten: Für sie liegt in der einfachen Darstellung eines komplizierten Sachverhaltes so etwas wie der Inbegriff geistiger Freiheit. Beim Anblick einer eleganten Formel jagt es einem Mathematiker schon einmal eine Gänsehaut über den Rücken.

Wie nur kommen manche Menschen in den Genuss, Mathematik aufregend zu finden? Sie knobeln nun mal gerne. Mit Hingabe und Ausdauer. Manche Mathematiker machen das so ausgiebig, dass sie ihr ganzes Leben lang tagaus, tagein versuchen, ein einziges Problem zu knacken – und keiner kann ihnen garantieren, dass sie die Antwort noch selbst miterleben werden.

(Erstveröffentlichung 2006, letzte Aktualisierung 13.01.2020)

Quelle: SWR

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