Ölgemälde: Mozart mit weißer Lockenperücke und rotem Gehrock.

Wien

Wien im Film

Heimtückische Intrigen bei Hofe, Schwarzmarkt-Geschäfte zwischen Bombenschutt oder die gewissenlosen Machenschaften einer Sanitäter-Mafia: Wenn man Wien von einer anderen Seite kennenlernen will, muss man nur ins Kino gehen.

Von Kerstin Hilt

Barocke Partys: "Amadeus" (1984)

Stinkende Abwässer fließen über das Kopfsteinpflaster, in einer Seitengasse gackern ein paar Hühner, und am Abend lässt die Straßenbeleuchtung einiges zu wünschen übrig: Das Wien, das in diesem Film gezeigt wird, würde man heute Hals über Kopf verlassen wollen.

Für den Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart war es trotzdem der Nabel der Welt: Wer es in Wien schafft, so lässt Regisseur Milos Forman ihn einmal sagen, dem liegt auch der Rest des Kontinents zu Füßen.

Der Kunstgriff des Films: Er ist aus der Perspektive eines glühenden Mozart-Gegners erzählt. Antonio Salieri, Wiener Hofkomponist und bis zu Mozarts Erscheinen Liebling des Kaisers, erkennt zwar das überragende Genie Mozarts, hadert aber mit dessen, nun ja, unkonventionellem Auftreten: "Warum sollte Gott zu seinem Instrument ein obszönes Kind wählen?"

F. Murray Abraham im Film Amadeus

F. Murray Abraham als Mozarts Gegenspieler Antonio Salieri

Mozart streckt bornierten adligen Auftraggebern das Hinterteil entgegen, treibt sich lieber auf halbseidenen Maskenbällen herum als auf Premieren und schreibt mit seiner "Zauberflöte" auch mal ein Werk für die niedere Volksoper, wenn der Schuldenberg gar zu groß geworden und die Arroganz der Höflinge mal wieder unerträglich ist.

Und diese Arroganz, das zeigt der Film sehr gut, gehört im Wien des Absolutismus zum gutkaiserlichen Ton. Joseph II., Sohn und Mitregent von Kaiserin Maria Theresia, hat keine Ahnung von Musik ("Seine Oper hat – wie soll ich sagen – zu viele Noten!"); doch ohne ihn und die Gunst seines Hofstaats kann auch ein Mozart in Wien nicht überleben.

Comic-Oper: Die Zauberflöte

Bis heute eine der berühmtesten Opern der Welt: die "Zauberflöte"

Salieri versucht denn auch alles, um Mozarts Erfolg zu verhindern. Wenn er, verkleidet als dämonischer Geist des gestrengen Vaters Leopold, sich auf den Weg zu Mozarts Wohnung macht, zeigt Milos Forman Wien von seiner morbiden Seite: Lange Schatten huschen über schneeumtoste Torbögen, in den Fenstern zittern unruhig die Kerzenflammen.

Ausgelassen dagegen die Szenen mit Mozart-Darsteller Tom Hulce: Nirgendwo könnte der Übermut und die Vergnügungssucht des spätbarocken Wien besser aufgehoben sein als in seinem hysterischen Lachen – das übrigens für die deutsche Fassung im Originalton belassen wurde.

Manche Perücken sehen zwar verdächtig nach den 1980ern aus, doch solche (bewussten) Fehlgriffe machen den Film nur charmanter.

Filmausschnitt aus 'Amadeus': Tom Hulce als Mozart lacht

Komponieren kann man auch noch morgen

Wien als Trümmerwüste: "Der dritte Mann" (1949)

Ganz unspektakulär mit ein paar beschwingten Tonfolgen auf der Zither beginnt "Der dritte Mann" – eine Melodie, die eher nach Wiener Volkstheater als nach einem Thriller klingt. Doch kein anderes Wien-Klischee dürfte jemals eine so unheimliche Wirkung entfaltet haben.

Dass ausgerechnet diese Melodie zum Soundtrack eines der wichtigsten Werke der Filmgeschichte wurde, war bloßer Zufall: 1948 ist der Regisseur Carol Reed mit seiner Crew in Wien, ein Großteil des Films ist bereits abgedreht – nur die Filmmusik fehlt noch.

Da stellt irgendjemand Reed den Zitherspieler Anton Karas vor, der sich sein Geld als Musiker in Heurigenlokalen verdient. Stundenlang improvisiert er für Reed, ihm bluten bereits die Finger – doch von Reed kommt keine erkennbare Reaktion.

Bis Karas, schon halb im Gehen, ein altes Übungsstück spielt, das sein Lehrer einmal für ihn komponiert hat. Reed springt auf, kniet sich neben Karas: "Please, once more, once more!" Der Film hat seinen Soundtrack gefunden.

Das Geheimnis des Zithermotivs dürfte gerade in seiner Unbeschwertheit liegen: So bildet es im Film einen effektvollen Kontrast zu der dunklen, nächtlich verschatteten Trümmerwüste, die Wien damals ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Stadt unter den vier Siegermächten aufgeteilt, die wohlgeordnete Wiener Gesellschaftswelt ist aus den Fugen: Barone müssen sich als Geiger in Damenbars verdingen, kleine Kinder handeln auf dem Schwarzmarkt, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen.

Plötzlich betritt ein Gast aus den USA die apokalyptische Szenerie: Der unbedarfte Holly Martin (gespielt von Joseph Cotten), der seinen alten Freund Harry Lime (Orson Welles) besuchen will. Er kommt gerade rechtzeitig zu Harrys Begräbnis – und macht sich auf die Suche nach Harrys Mörder, jenem mysteriösen "dritten Mann", der bei dem tödlichen Unfall angeblich anwesend war.

Orson Welles tritt im schwarzen Mantel mit Hut aus einem im Schatten gelegenen Kneipeneingang.

Ziemlich lebendig: Welles als Harry Lime

Dass Harry selbst dieser dritte Mann ist, dass er noch lebt und zu einem gewissenlosen Schwarzmarkt-Gangster geworden ist: Das ist die Wahrheit, der sich Holly im Lauf der Handlung stellen muss.

In den luftigen Höhen des Prater-Riesenrads kommt es zu einem ersten Showdown. Zwar ist der Schlagabtausch rein verbal, doch trotzdem spannungsgeladener als jede Schießerei: Die naive Gutmütigkeit Hollys ringt mit der Skrupellosigkeit Harrys.

"In den 30 Jahren unter den Borgias", so Harry in dieser Szene, "hat es nur Krieg gegeben – Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte dagegen brüderliche Liebe – und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!"

Doch am Ende triumphiert das Gute: In einer legendär gewordenen Verfolgsszene durch die Wiener Kanalisation bringt Holly seinen einstigen Freund zur Strecke.

Schwarzweiß-Filmausschnitt aus dem 'Dritten Mann': Orson Welles nimmt sich Joseph Cotten zur Brust.

Für viele der beste Film aller Zeiten: "Der dritte Mann"

Und wurde ist aus dem Zitherspieler Anton Karas? Sofort nach der Premiere feierte man ihn euphorisch als den "vierten Mann" des Films – drei Wochen später hatte er bereits 100.000 Schallplatten des "Harry Lime"-Motivs verkauft, ausgedehnte Konzertreisen führten ihn sogar bis vor den Papst. Von seinen Tantiemen eröffnete er 1953 ein Heurigenlokal – der Name: "Zum dritten Mann".

Vorsicht Sanitäter: "Komm süßer Tod" (2000)

Ein paar Sanitäter von den Kreuzrettern sitzen gelangweilt in ihrem Aufenthaltsraum – rauchen, lesen Zeitung, machen Jagd auf Fliegen. Plötzlich die Sirene – hektischer Aufbruch, schnell in den Krankenwagen. Der Beifahrer: "Fünf!" – der Fahrer: "Nein, diesmal werden's sieben!"

Die folgende halsbrecherische Fahrt durch Wiens enge Gässchen zeigt: Jede überfahrene rote Ampel auf dem Weg zur Unfallstelle gibt einen Punkt. Am Ende der Szene die Stimme aus dem Off: "Und dass die Kreuzretter einen Umweg gefahren sind, um noch mehr rote Ampeln zu erwischen – das ist in letzter Zeit fast gar nicht mehr vorgekommen."

Wie man unschwer erkennen kann: Es gibt Rettungsdienste, von denen will man besser nicht gerettet werden. Und in der morbiden Stadt Wien gibt es natürlich gleich zwei davon: Kreuzretter und Rettungsbündler, die sich einen erbitterten Kampf um Aufträge liefern.

Unfreiwillig mit auf dem Schlachtfeld: Ex-Detektiv Brenner (Kabarettist Josef Hader), der eigentlich endlich mal einen anständigen Job haben wollte. Leser des österreichischen Krimiautors Wolf Haas kennen ihn bereits – als stets gelangweilten, halsstarrigen Dickschädel, der seine Verhöre mit der bewährten Methode des "Eigentlich will ich's ja gor net wissen" bestreitet.

Porträtbild Wolf Haas.

Autor Wolf Haas wirkte auch am Drehbuch mit

Was dann folgt, ist kaum mit ein paar Sätzen zu beschreiben: Es gibt Tote, Schlägereien, wüste Drohungen – und Brenner trifft seine Jugendliebe Clara wieder.

So ganz nebenbei führt einen die Krimikomödie außerdem an Orte, die man als Tourist nie kennenlernen würde: Wohnsilos am Stadtrand, Krankenhaus-Imbissbuden, in denen die Leberwurstsemmel als "Spenderleber" verkauft wird, am Ende das Donauinsel-Fest mit seinem etwas ranzigen Charme.

Und schließlich: Wo sonst als in einem Film aus Wien könnte die weibliche Hauptdarstellerin (Barbara Rudnik) direkt nach dem Sex todessehnsüchtige Rilke-Verse zitieren? Regisseur Wolfgang Murnberger ist da jedenfalls ein kleiner Geniestreich gelungen – und noch dazu einer der meistgesehenen österreichischen Kinofilme überhaupt.

Für die Musik war die Wiener Band "Sofa Surfers" verantwortlich: Entstanden ist ein entspannter Elektro-Sound, typisch für die Wiener Musik- und Clubszene um die Jahrtausendwende. Ein Film, morbide wie die Stadt, komödiantisch-hintersinnig wie ihr unnachahmlicher Humor.

(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 08.06.2021)

Weiterführende Links

Quelle: WDR

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