Die Legende von Popo und Izta
Die Mexikaner lassen sich nicht in Aufregung versetzen. Sie nennen ihren grimmigen Berg zärtlich Popo und glauben, dass er ihnen wohlgesonnen ist. Tatsächlich: In den vergangenen 600 Jahren haben seine Eruptionen keine Katastrophen ausgelöst. Dabei hat Popo allen Grund wirklich wütend zu sein. Zumindest, wenn man der Legende glaubt.
Bevor Popocatépetl ein mürrischer alter Vulkan wurde, war er ein stolzer junger Krieger. Mit einer schönen Geliebten: Sie hieß Iztaccíhuatl und war die Tochter des Kaisers. Unglücklicherweise. Denn der konnte der Verbindung zwischen den beiden wenig abgewinnen.
Überhaupt hatte er schon längst einen anderen Schwiegersohn ins Auge gefasst. Das sagte er aber nicht. Stattdessen sagte er, Popocatépetl dürfe seine Tochter gerne heiraten, wenn er sich zuvor im Kampf bewiesen habe. Am besten weit weg, in Oaxaca.
Der junge Krieger zog in die Schlacht. Und eines Tages konnte der Kaiser seiner Tochter die Mitteilung überbringen, auf die er gehofft hatte: Popocatépetl war gefallen.
Aber sicherlich könne sich seine Tochter auch an einen anderen Mann gewöhnen, sagte er, er wisse da schon jemanden. Bloß wie stark Iztaccíhuatls Gefühle waren, wusste er nicht. Sie starb – vor Kummer und Sehnsucht nach ihrem stolzen jungen Krieger.
Als Popocatépetl wenig später aus dem Kampf zurückkehrte – wohlbehalten und den Kopf voller Hochzeitsgedanken – fand er seine Geliebte tot. Er trug Iztaccíhuatl auf einen Berg, um dort ebenfalls zu sterben.
Sogar den Göttern ging das nahe. Sie hatten Mitleid mit den Liebenden und bedeckten sie mit einer Decke aus Schnee. Aber Popocatépetl wacht mit einer brennenden Fackel über seine Geliebte – bis in alle Ewigkeit.
Der Popocatépetl
Die Fackel des Popocatépetl brennt tatsächlich noch. Sogar heller als lange zuvor. Bis 1994 war der Berg eher ruhig. Doch dann erwachte er plötzlich: In seinem Inneren bildeten sich Lavadome und explodierten. Dabei schmolzen große Teile des Gletschers und flossen als zähe Schlammströme, Lahare, den Vulkan hinab.
Im Jahr 2000 folgte der größte Ausbruch seit 1802: Popo erstickte sogar den Betrieb im 60 Kilometer entfernten Flughafen mit Asche. Mehr als 30.000 Menschen mussten evakuiert werden. Insgesamt wurden bei Ausbrüchen des Popocatépetls zwischen 1994 und 2001 rund 30 Millionen Menschen in Alarmbereitschaft versetzt.
Und der Vulkan bleibt unruhig. Auch 2013, 2016, 2018, 2019 und 2020 schleuderte er Asche und Rauch kilometerweit in den Himmel. Trotzdem vertrauen ihm die Menschen: 40.000 siedeln an den Hängen des Popo. Die größte Gefahr für sie ist die weiße Decke, die die Götter über dem Berg ausgebreitet haben sollen: die Gletscher an der Nordseite des Berges. Eine vulkanische Eruption könnte sie zum Tauen bringen und Lawinen die Dörfer verschütten.
Die Bauern bleiben trotzdem. Der Popo ist für viele eine Art Vaterfigur. Und ein besonders heiliger Ort: Am Fuß des Berges stehen 14 Klöster. Zu denen war der Vulkan übrigens auch immer gut – sie stehen dort seit dem 16. Jahrhundert unversehrt. Seit 1994 gehören sie zum Unesco-Weltkulturerbe.
Der Iztaccíhuatl
Bei klarem Wetter kann man in den vier Gipfeln des ungewöhnlich geformten Berges tatsächlich die Umrisse einer liegenden Frau erkennen. La Cabeza bildet den Kopf, Pecho den Bauch, Rodillas die Knie und Pies die Füße.
Der Iztaccíhuatl ist ein sehr alter Vulkan – er entstand vor mehr als 27.000 Jahren. Ein Krater ist nicht mehr sichtbar. Auch deshalb galt Iztaccíhuatl lange als erloschen. Wahrscheinlicher ist aber, dass er nur sehr tief schläft.
Der Name des Vulkans bedeutet übersetzt "Weiße Dame". Früher war der Vulkan tatsächlich von gewaltigen Eismassen bedeckt. Heute sind davon nur zwei steile Gletscher geblieben: am Ost- und Westhang des Berges. Im Gegensatz zum Popo steht Izta Bergsteigern offen – empfehlen kann man den langen und kalten Weg zum Gipfel El Pecho jedoch nur erfahrenen Bergsteigern.
Der spanische Eroberer Hernán Cortés nahm 1519 eine einfachere Route – er kam über den heute nach ihm benannten 3400 Meter hohen Pass, der die beiden Vulkane trennt.
Manche behaupten, seine Männer hätten sich auf dem Weg in den Krater des Popo hinabgeseilt, um dort Schwefel für die Munitionsherstellung zu gewinnen. So geht die Legendenbildung um die zwei mächtigen Vulkane vor den Toren der Millionen-Metropole Mexiko-Stadt immer weiter.
(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 25.06.2021)