Die Sage um den Seeräuber Klaus Störtebeker
Leibeigener auf Gut Ruschvitz (1340) – Auf Gut Ruschvitz auf Jasmund (Rügen) kommt ein kräftiger Junge zur Welt. Seine Eltern schinden sich als leibeigene Bauern für den Gutsherrn von Ruschvitz. Zu einem jungen Mann herangewachsen, nimmt er heimlich einen kräftigen Schluck Met aus der Kanne seines Leibeigners. Er wird ertappt, in Fesseln gelegt und geprügelt. Mit gewaltiger Kraft sprengt er die Fesseln, schlägt seine Folterer nieder und flieht.
Die Kraftprobe – Am Kap Arkona entdeckt er eine Seeräuberkogge, ein hölzernes Handelsschiff, und bittet um Aufnahme. Der Hauptmann Godeke Michels willigt ein, unter der Bedingung, dass der Junge seine Kraft beweist. Ohne Mühe zieht dieser mit bloßen Händen ein Hufeisen auseinander und drückt eine schwere Zinnschüssel wie Pappe zusammen.
Der Name wird geboren – Durstig fragt der geflohene Bauernsohn nach einem Schluck Met. Godeke Michels gibt ihm den größten Becher des Schiffes. Mit kräftigen Zügen leert er den stiefelgroßen Becher einmal, ein zweites und ein drittes Mal. Beeindruckt davon ruft der Hauptmann: "Du sollst von nun an 'Störtebeker' heißen", für 'Stürz' den Becher'".
Die Seeräuberei – Die Piraten greifen Handelsschiffe von reichen Kaufleuten an, plündern sie aus und holen satte Beute nach Hause, auch Gold und Silber. Als "Likedeeler", als "Gleichteiler", wie sie sich nennen, verteilen sie ihre Beute gerecht untereinander und geben auch Armen reichlich davon ab.
Wegen seiner Kraft und Kühnheit wird Störtebeker bald neben Godeke Michels zum Anführer der Piraten. Er ist einer der meistgefürchteten Seeräuber in der Nordsee und Ostsee. Die Likedeeler verstecken sich im Hafen von Ralswiek und in den Höhlen und Schluchten der Stubnitzer Kreidefelsen auf Jasmund.
Das Ende – Ein Verräter schmuggelt sich auf Störtebekers Schiff und gießt das Steuerruder mit Blei aus. Das Schiff "Bunte Kuh" einer Hamburger Flotte hat leichtes Spiel, es bringt die Seeräuber-Mannschaft nach Hamburg. Das Urteil steht von vorneherein fest: Störtebeker und seine Begleiter sollen enthauptet werden.
Auf dem Grasbrook, einem Hinrichtungsplatz bei Hamburg, trägt Störtebeker seine letzte Bitte vor: Alle Männer in einer Reihe, an denen er mit abgeschlagenem Kopf vorbeigehen kann, sollen freie Männer sein. Störtebeker wird enthauptet, mit aufrechtem Gang schreitet der blutige Körper an elf Männern vorbei. Dann stellt ihm der Henker ein Bein, Störtebeker stürzt zu Boden. Alle anderen Gefährten werden geköpft.
Die letzte gute Tat – Nach Störtebekers Tod soll das Seeräuberschiff wieder hergerichtet werden. Ein armer Tagelöhner wird beauftragt, den Mast an Störtebekers Schiff auswechseln. Als er den schweren Mast aus seinen Angeln hebt, entdeckt er, dass er von innen hohl und voller Gold ist.
Störtebeker – die Fakten
Um den berüchtigten Klaus Störtebeker ranken sich viele Sagen. Was davon wahr ist, lässt sich kaum benennen. Ob Störtebeker auf Rügen geboren wurde, ist völlig unklar. Manche Historiker vermuten Wismar als seinen Geburtsort. Weder sein richtiger Name noch seine soziale Herkunft sind bekannt.
"Im Grunde gibt es nur zwei verlässliche Quellen", sagt Ralf Wiechmann, Historiker im Museum für Hamburgische Geschichte. "Im sogenannten 'Verfestungsbuch' der Stadt Wismar von 1380 ist zu lesen, dass ein Nikolaus Störtebeker Opfer einer Schlägerei geworden war. Die Täter sind der Stadt verwiesen oder 'verfestet' worden."
Ob es sich im Wismarer Verfestungsbuch um den Piraten Störtebeker handelt, steht nicht fest. Wahrscheinlich war Störtebeker aber Mecklenburger, weil sich seine Truppe, die Vitalienbrüder, zum ersten Mal in Mecklenburg formierte. Sicher ist, dass Störtebeker gelebt hat und dass er einer der Hauptmänner der Vitalienbrüder war.
Ein Beweis dafür sind die englischen Klageakten, in denen Angriffe auf englische Handelsschiffe zwischen 1394 und 1399 festgehalten wurden. Der Historiker Ralf Wiechmann erklärt: "Die Namen Klaus Störtebeker und Godeke Michels tauchen dort häufig auf. In den Akten heißt es, dass vor allem Wolle und Bier aus englischen und dänischen Handelsschiffen beschlagnahmt wurden."
Die Vitalienbrüder
Königin Margarethe I. von Dänemark besetzte 1391 Stockholm. Um dem schwedischen König zur Hilfe zu kommen, warb sein Verwandter, Herzog Albrecht II. von Mecklenburg, Partisanen an. Unter Führung von Adeligen sammelten sich geflohene Leibeigene und Arme, die vom Land in die Städte geflüchtet waren.
Die Partisanen, zu denen auch Klaus Störtebeker und Godeke Michels gehörten, schafften es, die schwedische Bevölkerung mit Viktualien, das heißt mit Lebensmitteln, zu versorgen. Daraufhin benannte man sie nach den französischen "Viktualien-" oder "Vitalienbrüdern", die im 14. Jahrhundert im Krieg gegen England das französische Heer mit Lebensmitteln versorgten.
Nach dem Erfolg gegen Königin Margarethe I. wurden sie von Herzog Albrecht II. engagiert, um als Kaperfahrer den dänischen Handel zu schädigen.
Der Historiker Ralf Wiechmann erläutert: "Sie wurden vom Landesherren mit Kaperbriefen, mit offiziellen Schreiben ausgerüstet, die ihnen das Kapern erlaubten. Ihre Beute verkauften sie mit Genehmigung des Herzogs auf den Märkten von Rostock und Wismar."
Mit dem Friedensabkommen von 1395 hatten die Vitalienbrüder ihren Auftraggeber verloren. Sie ließen sich auf der Insel Gotland nieder und begannen auf eigene Rechnung Schiffe zu überfallen. Als Likedeeler, als "Gleichteiler", verteilten sie ihre Beute untereinander gerecht und gaben Armen davon ab. Ihr neuer Leitspruch hieß: "Gottes Freunde, aller Welt Feinde!"
Der Deutsche Orden vertrieb die Vitalienbrüder drei Jahre später von Gotland. Sie verließen die Ostsee und fanden bei friesischen Häuptlingen neue Auftraggeber und Schutz. Die Mannschaft um Klaus Störtebeker wurde 1400 bei Helgoland gefasst und auf dem Grasbrook bei Hamburg hingerichtet.
Störtebeker-Festspiele
Seit 1981 verknüpfen die Störtebeker-Festspiele in ihren Stücken auf der Freilichtbühne bei Ralswiek Fakten und Legenden über den Piraten Störtebeker. Auch zwischen 1959 und 1961 wurden Störtebeker-Festspiele von Kurt Barthel präsentiert.
Der Ort Ralswiek eignet sich gut, weil Störtebeker der Sage nach dort ein Seeräuber-Versteck gehabt haben soll. Zudem bietet der Spielort eine malerische Kulisse: Er liegt am Ufer des Jasmunder Boddens vor dem herrschaftlichen Schloss Ralswiek.
Das Spektakel fährt mit allem auf, was ein Theater braucht: 20 Schauspieler und 120 Statisten, meist Rüganer, kämpfen erbittert, verlieben sich, sterben, trauern und hoffen. Knapp 30 Pferde jagen über den Sand der Naturbühne, im Hintergrund, im Wasser des Jasmunder Boddens, schaukeln einige nachgebaute alte Handelsschiffe im Wind.
(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 17.08.2020)