Der Westsahara-Konflikt
Noch in den 1950er-Jahren war Marokko eine Kolonie der Franzosen und kämpfte um seine Unabhängigkeit, die es 1956 erlangte. Doch schon wenige Jahre nach seiner Souveränität trat Marokko durch seine Politik in der Westsahara selbst als Besatzer auf. Ein Konflikt, der in Europa schon fast vergessen ist, dessen Lösung aber noch auf sich warten lässt.
Die Auseinandersetzung begann 1975, als Spanien sich aus seiner Kolonie Westsahara zurückzog. Sofort teilten die beiden Nachbarstaaten Mauretanien und Marokko das Gebiet unter sich auf, mit Billigung der ehemaligen Kolonialmacht – aber ohne Rücksichtnahme auf die Interessen der einheimischen Sahraoui.
Angeführt durch die Befreiungsfront "Polisario", die militärisch wie politisch für eine unabhängige Westsahara kämpft, riefen die Sahraoui ihre eigene "Demokratische Arabische Republik Sahara" aus.
Seit 1979 hält Marokko die Westsahara besetzt
Es folgte ein jahrelanger blutiger Guerillakrieg, bei dem die Polisario massiv von Algerien unterstützt wurde. Als Mauretanien 1979 seinen Teil der Westsahara räumte und an die Polisario übergab, wurde auch dieses Gebiet kurz danach von Marokko besetzt. Erneute kriegerische Auseinandersetzungen waren die Folge.
Die Gründe Marokkos für dieses unnachgiebige Verhalten der Polisario gegenüber sind vor allem in den Bodenschätzen des ansonsten kargen Landes zu sehen. Besonders wichtig sind hierbei die Phosphatvorkommen, aber auch Erdöl und -gas werden in den sandigen Böden vermutet.
Verhärtete Fronten
Als 1991 durch die Uno ein Waffenstillstand vermittelt werden konnte, waren die Hoffnungen der Polisario auf ihren eigenen Staat groß. Eine Volksabstimmung sollte den Status der Westsahara endgültig entscheiden. Doch bis heute wurde dieses Referendum nicht durchgeführt.
Währenddessen lebt ein großer Teil der Sahraoui in algerischen Flüchtlingslagern. Der Krieg hat sie dorthin vertrieben. Obwohl Marokko keinen völkerrechtlichen Anspruch auf die Gebiete hat, schickt es seit Jahrzehnten eigene Landsleute in die Westsahara, um sie wieder zu besiedeln.
Auf offiziellen marokkanischen Karten findet sich kein Hinweis auf die Grenze, die sonst überall auf der Welt eingetragen ist. Marokkanische Medien dürfen nicht von "Westsahara" sprechen, sondern nur von den "südlichen Provinzen".
Immer wieder erteilt die Regierung außerdem ausländischen Konzernen Konzessionen zum Abbau von Erdöl und Erdgas in der Westsahara.
Die "Polisario" glaubt weiter an die Unabhängigkeit
Flüchtlinge in den Enklaven Melilla und Ceuta
Probleme gibt es in Marokko auch immer wieder an der Grenze zu den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta. Seit Jahrzehnten streiten sich Marokko und Spanien um die an der afrikanischen Mittelmeerküste gelegenen Städte. Diese sind schon seit dem 15. Jahrhundert in europäischem Besitz.
In den Fokus der Weltöffentlichkeit gelangten Melilla und Ceuta, als im Jahr 2005 tausende afrikanische Flüchtlinge versuchten, die Grenzanlagen zu überwinden, um auf spanisches Territorium zu gelangen.
Die meisten waren keine Marokkaner, sondern Flüchtlinge aus Ländern südlich der Sahara: aus Kamerun, Nigeria oder Mali, die ihre Heimat aus Angst vor Krieg oder bitterer Armut verließen. In langen Fußmärschen hatten sie die Sahara durchquert und wollten sich so kurz vor ihrem Ziel nicht von Stacheldraht und Grenzpatrouillen aufhalten lassen.
Für einige Tage schien es, als würden die Grenzen der beiden Städte Melilla und Ceuta die Menschenmenge nicht mehr aufhalten können. Doch am Ende konnten nur wenige die Sicherheitsanlagen überwinden. Und auch diese erwartete nach einem kurzen Aufenthalt in den Auffanglagern der Spanier nur die Abschiebung.
Als Reaktion auf die damaligen Ereignisse verstärkte die spanische Regierung die ohnehin schon umfangreichen Sicherheitsanlagen um Ceuta und Melilla noch weiter. Sechs Meter hohe Stacheldrahtzäune und moderne Sicherheitstechnologie machen das Überwinden der Grenze fast unmöglich. Auffanglager noch auf marokkanischem Boden sollen die Flüchtlinge aufnehmen, bevor sie spanischen Boden betreten. Dafür bekommt Marokko Geld von der EU.
Dieser Mann hat es in ein Auffanglager in Melilla geschafft
Die Zahl der Flüchtlinge hat sich dadurch nicht verringert – nur ihre Routen sind andere geworden. Viele versuchen etwa, über die libysche Küste nach Europa zu gelangen – und setzen sich bei der Fahrt übers Mittelmeer großer Gefahr aus.
Der Kampf der Frauen
Auf dem Papier sind Frauen und Männer in Marokko gleichberechtigt. 2011, bei den Protesten des Arabischen Frühlings, waren auch Frauen für ihre Rechte auf die Straße gegangen. Im selben Jahr wurde Marokkos Verfassung geändert, seitdem garantiert sie Frauen die gleichen Rechte und Freiheiten wie Männern.
Auch König Mohammed VI. gilt in Sachen Gleichberechtigung als fortschrittlich: Als er 1999 seinem Vater auf den Thron folgte, schaffte er als eine seiner ersten Amtshandlungen dessen Harem ab.
Die Realität aber, so beklagen Frauenrechtlerinnen, sieht anders aus. Ist eine Frau verheiratet, werde sie noch immer als Eigentum ihres Mannes betrachtet; ist sie es nicht, müsse sie sich meist entweder ihrer Familie unterordnen oder gelte als Freiwild.
Frauen demonstrieren in Marokko am Internationalen Frauentag für ihre Rechte
Viele junge Frauen, die ohne Begleitung eines Mannes in der Öffentlichkeit unterwegs sind, berichten von Übergriffen – von Sprüchen, Pfiffen, von Tätlichkeiten bis hin zur Vergewaltigung. Verwitwete oder geschiedene Frauen wiederum finden sich oft im gesellschaftlichen Abseits wieder: Sie finden kaum oder nur schlecht bezahlte Arbeit, was oft auch ihre Töchter dazu zwingt, die Schule aufzugeben und mit zum Familieneinkommen beizutragen.
Und auch viele Gesetze sind noch immer unerwartet hart – trotz der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Gleichberechtigung. So ist Sex außerhalb der Ehe ein Kriminaldelikt. Unehelich geborene Kinder gelten deshalb rechtlich als nicht existent.
Das versperrt ihnen strenggenommen den Schulbesuch ebenso wie den Gang zum Arzt. Dabei betrifft dies längst keine kleine Minderheit: Mehr als zehn Prozent aller marokkanischen Kinder werden außerhalb einer Ehe geboren.
Die Fortschritte, die es gibt, sind hart erkämpft. 2012 etwa tötete sich ein 16-jähriges Mädchen selbst, als sie gezwungen worden war, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Bis dahin waren solche Eheschließungen gängige Praxis: Der Vergewaltiger konnte so einer Strafe entgehen; die Familie der Frau wiederum meinte, auf diese Weise ihre Ehre retten zu können. Nach einer langen gesellschaftlichen Diskussion kippte 2014 das marokkanische Parlament die Straffreiheit für Vergewaltiger, die ihr Opfer heiraten.
Ebenfalls unter Beschuss: die rigide Sexualmoral und das strenge Abtreibungsrecht – auch dank einer Schriftstellerin mit marokkanischen Wurzeln. In ihrem Buch "Sex und Lügen" lässt die Französin Leila Slimani marokkanische Frauen aus ihrem Leben zwischen Selbstbestimmung und Heuchelei berichten. Tausende marokkanische Frauen bekannten danach öffentlich, abgetrieben zu haben, und fordern eine Änderung der in ihren Augen "ungerechten und überkommenen" Gesetze.
Leila Slimanis Buch "Sex und Lügen" prangert eine verlogene Sexualmoral an
UNSERE QUELLEN
- Deutsche Welle Reporter: Ein Frauenrestaurant in Marrakesch holt Frauen und Mädchen aus dem sozialen Abseits
- Konrad-Adenauer-Stiftung: "Die Gleichberechtigung der Frau in Marokko – Stagnation oder Fortschritt?"
- Dis:orient: "Frauenrechte in Marokko – Gleichheit der Geschlechter nur auf dem Papier"
- Leila Slimani: "Sex und Lügen. Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt". btb, München 2018
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 29.10.2020)
Quelle: WDR