Buchmalerei: Lehrender Mönch

Medizin

Klostermedizin

In den mittelalterlichen Klöstern schufen Mönche die Grundlagen der modernen Medizin. Sie verbanden die Lehre von Heilkräutern, Arzneipflanzen, der Ernährung und des christlichen Glaubens zu einer ganzheitlichen Medizin.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

Die Regel der Benediktiner

Die Ursprünge der Klostermedizin beginnen in den frühesten Zeiten der Klostergeschichte. Das Mönchstum erlangte durch Benedikt von Nursia und seine Klostergründung von Monte Cassino um etwa 529 weltgeschichtliche Bedeutung.

Der Gründervater des Benediktinerordens verpflichtete die bisher wandernden Mönche zur Beständigkeit. Seine Ordensregel durchdrang alle Bereiche des klösterlichen Lebens und wurde Vorbild für die abendländischen Klöster.

Benedikt entwarf das klösterliche Ideal eines doppelten Weges zwischen dem in sich gehenden, betenden Ordensmenschen und dem aktiv arbeitenden Mönch. Auf eine einfache Formel gebracht: "Bete und arbeite" (lateinisch "ora et labora"). Benedikt legte den Grundstein für ein Ordenswesen, das die Klöster zu den geistigen Zentren Europas machte.

Mittelalterliches Kloster

In den Klöstern wurde die moderne Medizin geboren

Inseln der Zivilisation

Vom 6. bis zum 8. Jahrhundert herrschten in Europa chaotische Zustände. Im Zuge der Völkerwanderung eroberten germanische Völker fremde Länder und lösten das Zeitalter der antiken Hochkulturen ab. In dieser Zeit lebten die Menschen in primitiven Verhältnissen.

Die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften der Römer und Griechen gingen verloren. Viele Schriften verloren ihre Bedeutung, da nur noch wenige Menschen lesen konnten. In dieser unruhigen Zeit erwiesen sich in erster Linie die Klöster als die Hüter von Kunst und Wissenschaft.

Nahezu 500 Jahre lang war das Studium, die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, nur in Klöstern erlernbar. Die Mönche und Nonnen lasen die Heilige Schrift und unterwiesen sich gegenseitig in theologischen und philosophischen Belangen. Sie studierten alte Texte, wo immer sie ihrer habhaft werden konnten.

Doch Bücher waren selten und wertvoll, manche Schriften wurden mit Gold aufgewogen. Da begannen Ordensbrüder und -schwestern Wissen zu sammeln, Abschriften anzufertigen und Bibliotheken aufzubauen.

In mühevoller Arbeit schrieben Kopisten alte Werke ab und tauschten sie mit andern Klöstern aus. Ohne die sorgfältige Arbeit der Mönche wären viele Werke der Griechen und Römer in Vergessenheit geraten.

Wissen ist Macht

Bald entstanden in den Klosterschulen und Bibliotheken Kunstwerke, Buchmalereien, Goldschmiede- und Edelsteinarbeiten von unschätzbarem Wert. Durch das benediktinische Gebot der Arbeit mehrten die Klöster ihr Wissen und setzen es gleichzeitig für ihren Erhalt ein. Die Klöster wurden mächtig und reich. Weltliche Herrscher nutzten das Wissen der gebildeten Nonnen und Mönche zum Aufbau von Staatswesen und Verwaltungen.

Ein mittelalterliches Kloster war eine Art unabhängige Stadt, die sich in einen geistigen und einen ökonomischen Bezirk unterteilte. Der geistige Teil des Klosters umfasste die Kirche, den Kreuzgang, den Kapitelsaal, den Schlafsaal und den Speisesaal.

Der ökonomische Teil beherbergte alle Gebäude, die die materielle Existenz des Klosters sicherten: zum Beispiel die Viehställe, die eigene Mühle, eine Bäckerei, eine Schmiede, eine Schreinerei und eine Metzgerei.

Auch die Landwirtschaft machte durch die Klöster große Fortschritte. Mönche rodeten Wälder, machten die Flächen urbar und erfanden neue Methoden des Ackerbaus. Zudem legten sie in ihren Mauern Gärten für Gewürze und Heilkräuter an, der Grundstock für die Klostermedizin.

Blick in die theologische Bibliothek von Kloster Strahov in Prag

Geistliche Zentren des Wissens

Heilende Mönche

Zentrale christliche Anliegen der Klöster waren die Sorge um die Seele und die Sorge um den Körper. Ordensgründer Benedikt hatte festgelegt, dass es die wichtigste Pflicht aller Mönche sei, den Kranken zu helfen.

Das Revolutionäre an dieser Idee: Nicht nur den Angehörigen des eigenen Ordens sollte geholfen werden, sondern allen Kranken, die im Kloster um Hilfe baten. Die Caritas, die Barmherzigkeit, die dieser Regel zugrunde lag, bereitete der systematischen Medizin den Boden. Benedikts Anweisung, Mitbrüder und -schwestern zum Heilen auszubilden, führte zur Entstehung der Klosterheilkunde.

Der ideale Klostergarten

Die Mönche vertieften in klostereigenen Gärten ihre Studien in Medizin und Kräuterheilkunde und gaben ihr Wissen innerhalb des Klosters weiter. In der Stiftsbibliothek St. Gallen werden fünf zusammengenähte, handbeschriebene Pergamentstücke aufbewahrt, auf denen der Plan einer idealen Klosteranlage verzeichnet ist. Die Aufzeichnung diente fortan vielen Klöstern als Modell für die Anlage der Kräutergärten.

In länglichen, rechteckig angelegten Beeten wurde jeweils nur eine Pflanze kultiviert, um die Reinheit des Krauts zu gewährleisten und die Verwechslungsgefahr zu vermeiden. Außerdem konnten heilkundige Mönche und Nonnen Laien oder Botenjungen zum Ernten schicken. Statt des komplizierten lateinischen Namens nannten sie das Blumenbeet, zum Beispiel: "das letzte Beet an der rechten Mauer".

Klostergarten der Abtei Mariendonk

Die Klostergärten wurden systematisch angelegt

Die Blütezeit der Klostermedizin

Ihr Wissen über die Heilpflanzen schrieben die Mönche nieder. Umfangreiche klostermedizinische Werke entstanden, die über Jahrhunderte hinweg von heilkundigen Mönchen studiert und vertieft wurden. Im 8. Jahrhundert wurde im Kloster Lorsch das medizinische Wissen im "Lorscher Arzneibuch" niedergeschrieben.

Im 11. Jahrhundert verfasste der Mönch Odo de Meung den "Macer foridus", ein Standardwerk der Kräuterheilkunde, das überall in Europa Verbreitung fand. Hildegard von Bingen schrieb zwischen 1150 und 1160 ihre medizinischen Werke "Physica" und "Causae et curae", die bis in unsere Tage in der Naturheilkunde Verwendung finden. Die Klostermedizin befand sich vom 10. bis zum 13. Jahrhundert auf ihrem Höhepunkt.

Jahrhundertelang hüteten und vertieften Mönche das medizinische Wissen und die Geheimnisse der Heilpflanzen in ihren Bibliotheken. Erst die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert ebnete den Weg für die weitere Verbreitung ihrer Kenntnisse. Fortan legten Adel und Ritter nach dem Beispiel der Klostergärten ihre Burggärten an.

Auf dem Lande entstanden Bauerngärten, in den Städten verbreiteten sich die Pfarr- und Apothekergärten. Das Wissen der Mönche über Arzneipflanzen und deren Wirkungen ebnete den Weg von der medizinischen Grundversorgung zur Entwicklung der heutigen Schulmedizin.

Das Lorscher Arzneibuch aufgeschlagen

Das Lorscher Arzneibuch aus dem 8. Jahrhundert

Den Geheimnissen der Mönche auf der Spur

In Deutschland hat sich eine kleine Schar von Wissenschaftlern zum Ziel gesetzt, die Schätze der klösterlichen Heilkunde zu heben. Ihren Sitz hat die Forschergruppe "Klostermedizin" am Institut für Geschichte der Medizin in Würzburg.

An dem Projekt arbeiten Mediziner, Botaniker, Chemiker, Pharmazeuten und Historiker. Zum ersten Mal sollen die alten Erkenntnisse der Mönche und Heilkundler systematisch erfasst und wissenschaftlich aufbereitet werden. Das historische Wissen der Klosterheilkunde soll so für moderne Therapien des 21. Jahrhunderts nutzbar gemacht werden.

Dabei ist der erste Schritt die Übersetzung aus dem Lateinischen. Anschließend beginnt die genaue Identifizierung der in den Werken beschriebenen Pflanzen. Danach wird die Arbeit an die Pharmazeuten weitergereicht, die nun die Wirkstoffe der Pflanzen analysieren, isolieren und schließlich testen.

Die Arbeit der Forscher ermöglicht es den Klöstern, ihr heilkundliches Wissen zu erhalten und zu dokumentieren. Gleichzeitig soll das uralte Wissen der Mönche einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Quelle: SWR | Stand: 08.02.2021, 12:19 Uhr

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