Die Erklärung der Menschenrechte
Alle Menschen haben von Geburt an die gleichen Rechte und behalten diese ihr Leben lang – das ist für uns in Deutschland heute eine Selbstverständlichkeit. In der Zeit vor der Französischen Revolution war das ganz anders.
Auf dem Land lebten damals viele Bauern noch in Leibeigenschaft: Sie waren gewissermaßen Eigentum ihres Grundherren und mussten ihm gehorchen. Heiraten oder umziehen durfte ein Leibeigener nur mit der Zustimmung seines Grundherrn.
Frankreich war damals in drei sogenannte Stände gegliedert. Zum ersten Stand gehörten die Geistlichen, also Priester und Mönche, zum zweiten Stand die Adligen und zum dritten Stand alle anderen: Kaufleute, Handwerker und vor allem Bauern. Steuern zahlen musste nur der dritte Stand. Politische Rechte hatte er trotzdem kaum.
Während der Französischen Revolution verloren der erste und zweite Stand ihre Sonderrechte. Die Vertreter des dritten Standes schafften die Leibeigenschaft ab und formulierten Menschen- und Bürgerrechte. Für viele Staaten und auch für die Vereinten Nationen wurde diese "Erklärung der Menschenrechte" von 1789 zum Vorbild.
Insgesamt 17 Rechte werden in der Erklärung festgeschrieben. Darunter sind das Recht auf Freiheit, auf Eigentum und auf Widerstand gegen Unterdrückung; der Schutz vor staatlicher Willkür, zum Beispiel davor, ohne rechtliche Grundlage verhaftet oder gefangen gehalten zu werden; und das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Daneben stehen in der Erklärung auch Bürgerrechte – also Rechte wie zum Beispiel das Wahlrecht, das nicht für alle Menschen gilt, sondern nur für Franzosen.
Menschenrechte in der deutschen Verfassung
Auch das Grundgesetz, also die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, stützt sich auf die französische Erklärung von 1789. Die Grundrechte sind dieselben, oft nur anders formuliert. Und ähnlich wie in der französischen Verfassung stehen sie auch im deutschen Grundgesetz ganz zu Anfang – in Artikel 1 bis 19.
Artikel 1 benutzt allerdings einen Begriff, der zur Zeit der Französischen Revolution noch nicht verwendet wurde: die Menschenwürde. Artikel 1 lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Das soll bedeuten, dass jeder Mensch frei geboren ist und einen hohen Wert hat – ganz gleich, ob er jung oder alt ist, Mann oder Frau, gesund oder krank; egal ob er aus Deutschland kommt oder aus einem anderen Land. Niemand darf ihm Gewalt antun oder ihm seine Rechte nehmen.
Die Väter und Mütter des deutschen Grundgesetzes hatten andere Erfahrungen gemacht als die französischen Revolutionäre. Als sie 1948 zusammenkamen, war wenige Jahre zuvor die Diktatur der Nationalsozialisten zu Ende gegangen.
Während dieser Zeit waren die Menschenrechte mit Füßen getreten worden: Die Nazis hatten sechs Millionen Juden ermordet, Millionen von Menschen eingesperrt, gefoltert oder gar getötet – weil sie andere politische Meinungen vertraten, weil sie behindert oder krank waren.
Vor allem deshalb wurde die Menschenwürde im Grundgesetz festgeschrieben, um das Recht für alle Menschen zu sichern.
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" ("Liberté, égalité, fraternité") hieß die Parole der Französischen Revolution. Auch im deutschen Grundgesetz spielt die Gleichheit eine Rolle. In Artikel 3 heißt es: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", Frauen und Männer sind also gleichberechtigt.
Das hatte man während der Französischen Revolution noch anders gesehen. Damals stimmten die ausnahmslos männlichen Mitglieder der Nationalversammlung darin überein, dass Frauen diese Rechte nicht zustünden. Wählen durften französische Staatsbürgerinnen dann auch erst 1944 – deutsche dagegen schon 1918.
Der Streit um soziale Grundrechte
Was aber hat es mit der Brüderlichkeit auf sich, der fraternité? Während der Französischen Revolution wurde das Wort vor allem als Kampfparole verwendet: als Aufruf zum Zusammenhalt, um sich vom Gegner nicht spalten zu lassen.
Später, als sich während der Industriellen Revolution die Arbeiterbewegung formierte, wurde Brüderlichkeit als Solidarität verstanden: als gemeinsames Aufstehen gegen Armut und Ausbeutung.
Aus der Arbeiterbewegung kommt auch die Idee von sozialen Grundrechten. Der Staat solle seinen Bürgern ein Recht auf Arbeit oder Wohnung garantieren. Bis heute ist das umstritten. Viele Politiker finden, dass der Markt, also die Wirtschaft, diese Probleme besser lösen kann als der Staat: Wenn es zum Beispiel in einem Land an Wohnungen fehlt, ist es besser, wenn Unternehmen diese Wohnungen bauen und der Staat höchstens Anreize gibt, aber nicht selbst tätig wird.
Das deutsche Grundgesetz jedenfalls kennt keine sozialen Grundrechte. In Artikel 14, Absatz 2 heißt es lediglich: "Eigentum verpflichtet."
Gerichte als Hüter der Grundrechte
Die französische Erklärung der Menschenrechte war nicht nur wegweisend für Verfassungen wie das Grundgesetz, sondern auch für internationale Organisationen. So verkündeten die Vereinten Nationen (United Nations Organization = UNO) nach dem Zweiten Weltkrieg die sogenannte "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte".
In Europa gilt die 1950 fertiggestellte "Europäische Menschenrechtskonvention", die inzwischen 47 Nationen in Kraft gesetzt haben. Mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gibt es sogar eine Instanz, die über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht.
Überhaupt hat die Rolle von Gerichten bei der Wahrung der Menschenrechte deutlich zugenommen. Denn nur weil es Menschenrechtserklärungen gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch geachtet und durchgesetzt werden.
Auch dies ist eine Erfahrung aus der Französischen Revolution. Während der sogenannten Schreckensherrschaft von 1793 bis 1794 glitt der Kampf um Freiheit in den Terror ab. Zehntausende wurden ermordet, weil man sie verdächtigte, Gegner der Revolution zu sein. Sich angemessen verteidigen oder die Vorwürfe auch nur prüfen lassen konnten sie nicht.
Um so etwas zu verhindern, ist es wichtig, dass es unabhängige Gerichte gibt, bei denen man Grundrechte wie etwa die freie Meinungsäußerung oder die Demonstrationsfreiheit notfalls einklagen kann. Das höchste Gericht in Deutschland ist das Bundesverfassungsgericht. Hier kann jeder eine so genannten Verfassungsbeschwerde einreichen, wenn er seine Grundrechte verletzt sieht.
Gewaltenteilung als Schutz vor Machtmissbrauch
Und noch ein weiterer wichtiger Gedanke der Französischen Revolution gehört heute fest zu unserem Demokratieverständnis – die Gewaltenteilung. Das bedeutet: Die Macht im Staat wird zwischen verschiedenen Institutionen aufgeteilt. Nicht ein Herrscher wie der König darf allein über alles bestimmen.
Stattdessen gibt es
- eine gesetzgebende Gewalt (Legislative), also etwa ein gewähltes Parlament wie in Deutschland der Bundestag, der Gesetze beschließt;
- eine ausführende Gewalt (Exekutive), die die Gesetze ausführt, also Regierung, Verwaltung, Polizei;
- und eine rechtsprechende Gewalt (die Judikative), also Gerichte, die unabhängig entscheiden, was nach den Gesetzen richtig ist.
Auf diese Weise sollen die drei Gewalten sich gegenseitig kontrollieren und Machtmissbrauch verhindern.
Dafür ist aber noch eine andere Instanz wichtig, die von vielen als "vierte Gewalt" bezeichnet wird: eine freie Presse. Sie sorgt dafür, die Menschen in einem Staat unabhängig zu informieren, so dass sich jeder Bürger seine Meinung zu aktuellen politischen Ereignissen bilden und mitreden kann.
So wurden während der Französischen Revolution hunderte Zeitungen gegründet, viele Menschen trafen sich und diskutierten. Heute sind durch das Internet und die sozialen Medien diese Möglichkeiten noch deutlich vielfältiger.
Auch die Grundrechte selbst müssen immer wieder überprüft und gegebenenfalls erweitert werden: So diskutiert man in Deutschland schon lange, ob nicht auch Kinderrechte oder Tierrechte stärker im Grundgesetz verankert werden sollten. Das Erbe der Französischen Revolution ist also immer noch lebendig.
(Erstveröffentlichung: 2021. Letzte Aktualisierung 15.03.2021)
UNSERE QUELLEN
- Axel Kuhn: "Die Französische Revolution (Kompaktwissen Geschichte)". Reclam, Stuttgart 2012
- Gespräch mit Raphael Schäfer, Doktorand mit Schwerpunkt Völkerrechtsgeschichte am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg