Der Obersalzberg als Kurort
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Berchtesgadener Ort Obersalzberg eine idyllische Berglandschaft, bevölkert von Bergbauern, Salinenarbeitern, Schnitzern und Fuhrleuten. Das Leben ist geprägt von harter Arbeit. Die Bauern betreiben sommerliche Weidewirtschaft, die gerade genügend abwirft, um den eigenen Bedarf zu decken.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschließen sich dem pittoresken Areal neue Einnahmequellen: Der Tourismus hält Einzug am Obersalzberg. Die geschäftstüchtige Mauritia Mayer begründet 1877 mit der "Pension Moritz" einen Aufenthaltsort, der schnell feinsinnige und zahlungskräftige Städter anlockt.
Mit den Jahren entwickelt sich durch den zunehmenden Fremdenverkehr eine Infrastruktur, die neue Arbeitsplätze schafft. 1920 entsteht ein Kindersanatorium und der Obersalzberg wird Höhenkurort.
Hitlers erster Besuch
Im Mai 1923 besucht Hitler erstmals den Obersalzberg, wo er seinen politischen Mentor Dietrich Eckard trifft. Eckard ist damals Schriftleiter des antijüdischen Hetzblattes "Der Völkische Beobachter" und wird in den 1920er-Jahren polizeilich gesucht wegen antisemitischer Hetze.
Der spätere Leibwächter Adolf Hitlers hat Kontakte ins Berchtesgadener Land und so gelangt Eckard in die Pension von Mauritia Mayer, wo er sich versteckt. Als Hitler ihn aufsucht, benutzt er den Tarnnamen "Wolf".
Hitler, damals bereits Vorsitzender der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP), begeistert sich von Anfang an für das gewaltige, wunderschöne Panorama, das Klima, die unberührte Natur.
Nach dem Putschversuch von 1923 kommt Hitler in Festungshaft, aus der er 1925 vorzeitig entlassen wird. Wiederholt zieht er sich nun auf den Obersalzberg zurück, mietet sich in eine – später zum "Kampfhäusl" verklärte – Holzhütte ein, in der er den zweiten Band seines Buches "Mein Kampf" verfasst.
Immer mehr gerät Hitler in den Bann der Alpenlandschaft. 1928 mietet er sich im Bergbauernhaus "Wachenfeld" ein, das er 1933 erwirbt und schließlich nach eigenen Plänen zu seiner pompösen Residenz "Berghof" umbauen lässt.
Hitlers Wahlheimat
Als Hitler 1933 Reichskanzler wird, wird die Wahlheimat des "Führers" schlagartig berühmt. Für die Region Berchtesgaden bedeutet Hitlers Niederlassung am Obersalzberg zunächst einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung.
Gleichzeitig mit Hitler kommt der touristische Massenandrang. Der Obersalzberg wird plötzlich Wallfahrtsort für begeisterte Hitler-Pilger aus dem ganzen Reich.
Der Hitler-Personenkult nimmt groteske und kultische Formen an. In Sonderzügen werden Hitler-Touristen nach Berchtesgaden gebracht; die Wallfahrer nehmen stundenlange Wartezeiten in Kauf, um Hitler zu sehen.
In Sprechchören rufen sie rhythmisch: "Wir wollen unseren Führer sehen". Sie sammeln die Kiesel ein, auf denen Hitler gestanden hat, sie waschen sich nicht mehr die Hände, wenn ihnen der Führer die Hand gereicht hat.
Geschickt inszeniert die nationalsozialistische Propaganda am Obersalzberg den Mythos vom nahbaren Volksfreund Hitler. Hitler als Naturfreund, Kinderfreund, Privatmann – hier gibt er sich volksnah, die Nummer 1 im Deutschen Reich, als guter Nachbar von nebenan, als "einer von uns". Die Deutschen bekommen eine heile, private Kleinbürgerlichkeit vorgespielt.
Ausbau zum "Führersperrgebiet"
Mit Hitler fällt auch sein nationalsozialistisches Umfeld auf dem Obersalzberg ein. Weitere NS-Größen siedeln sich an: der Reichsmarschall und oberste Chef der Luftwaffe Hermann Göring, Hitlers Privatsekretär Martin Bormann, Hitlers Architekt Albert Speer – sie alle gründen ihre eigenen Residenzen in unmittelbarer Umgebung zu Adolf Hitler. Dazu kommen Adjutanten, Bedienstete, Sicherheitskräfte, Soldaten und Kräfte der Schutzstaffel (SS).
Zwischen 1933 und 1937 kommt es zu einem regelrechten Bau-Boom der Nationalsozialisten am Obersalzberg. Es werden Straßen, Häuser und Zweckbauten errichtet. Gleichzeitig wird der angeblich "volksnahe Führer" durch den Ausbau des Obersalzbergs immer gründlicher von den ihm huldigenden Wallfahrern abgeschirmt.
Schließlich sind in den späten 1930er-Jahren nur noch organisierte Gruppenbesuche und Partei- und Staatsgäste zugelassen. Der Obersalzberg wird "Führersperrgebiet" – ein hermetisch abgeriegeltes, streng bewachtes Areal mit regierungstauglicher Infrastruktur.
Mitten in der zauberhaften Landschaft des Berchtesgadener Landes stellt Hitler am Berghof die Weichen für die größten Menschheitsverbrechen, die je von deutschem Boden ausgegangen sind. Am Obersalzberg werden die Pläne für den deutschen Vernichtungskrieg ausgearbeitet, für die militärische Besetzung der Tschechoslowakei, für den Angriff auf Polen.
Vom Berghof aus telegrafiert Hitler am 20. August 1939 an Stalin und unterbreitet ihm den Nichtangriffspakt. Die Region Berchtesgaden entwickelt sich zu einer zweiten Schaltstelle des Deutschen Reiches, zu Hitlers zweitem Führerhauptquartier.
Martin Bormann – die graue Eminenz am Obersalzberg
Doch der aus dem Boden gestampften Regierungsstadt in alpiner Idylle fallen die dörflichen Strukturen zum Opfer und mit ihnen die Bewohner des Obersalzberges, die seit Generationen hier ansässig sind.
Zentrale Figur des perfiden Vertreibungsspiels am neu entstehenden Führerstandort ist Martin Bormann. Bormann, zunächst Stabsleiter bei Rudolf Heß, wird von Hitler zum Vermögensverwalter bestellt und schließlich mit dem Bau und der Aufsicht des Berghofes sowie den Bauarbeiten am Obersalzberg betraut.
Bormann ist die graue Eminenz am Obersalzberg, eine NS-Größe ohne eigentlichen Machtbereich. Er wird Hitlers persönlicher Adjutant und schließlich Chef der Parteikanzlei.
Das System Bormann funktioniert, indem er sich bei Hitler unentbehrlich macht. Bormann liest Hitler jeden Wunsch von den Augen ab. Alles, was Hitler über die Lippen geht – alles, was auch nur ein gemutmaßter Wunsch des "Führers" sein könnte – Bormann realisiert es.
Bormann ist selbst unter den Nazi-Größen gefürchtet – denn wer an Hitler ran will, der muss an dem allein Hitler ergebenen Bormann vorbei.
Vertreibung der Einheimischen
Den Bau des Führersperrbezirks treibt Bormann auf rabiate, brachiale Art voran. Und er setzt sich über alle Interessen der angestammten Einwohner hinweg. Stück für Stück kauft Bormann die Grundstücke und Häuser am Obersalzberg auf.
Anfangs zahlen die Nationalsozialisten gutes Geld für die Immobilien. Doch das ändert sich rasch: Wer sein Gut nicht freiwillig hergibt, wird bald unter Druck gesetzt. Gefährdet sind besonders die alteingesessenen Obersalzberger, die an ihrer Scholle hängen.
Von 1936 an werden die verbliebenen Einheimischen von Bormann systematisch drangsaliert. Längst müssen sie ihre Häuser und Grundstücke zu Spottpreisen verkaufen. Wer trotzdem nicht einlenkt, dem droht die Einlieferung in das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau. Drohungen, die Bormann nicht nur unverhohlen ausspricht, sondern auch wahr macht.
Zerstörung des Hitlerbergs
Zusätzlich zu den Bauten des Führersperrbezirks beginnt im Sommer 1943 der Ausbau einer komplexen Bunkeranlage mit Wohn-, Schlaf- und Essgelegenheiten, Arbeitszimmern und Sanitäranlagen. Die kilometerlangen Stollen und Bunkerhöhlen geben Goebbels' Propagandalüge einer militärisch wichtigen "Alpenfestung" am Obersalzberg einen Anschein von Realität.
Am 25. April 1945 zerstören britisch-amerikanische Bomberverbände mit der überdimensionierten Last von fast 1811 Tonnen Bomben Hitlers heimlichen Regierungssitz am Obersalzberg. Fast sämtliche Nazi-Gebäude fallen dem Angriff zum Opfer.
Das Göringhaus und das Bormannhaus werden dem Erdboden gleichgemacht, Hitlers Berghof wird schwer getroffen. SS-Truppen setzen die Ruinen des Berghofs noch in Brand, bevor sie endgültig abrücken. Die zerstörten Gebäude werden von der einheimischen Bevölkerung geplündert.