Mittelalter

Inquisition

Wer im Mittelalter eine andere Meinung vertrat als die der katholischen Kirche, lebte gefährlich: Andersdenkende wurden verfolgt, gefoltert oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Durch diese so genannte Inquisition starben Tausende von Menschen.

Von Horst Basting

Das "Gottesurteil"

Um Andersgläubige zu überführen, benutzt die katholische Kirche im frühen Mittelalter ein so genanntes "Gottesurteil". Das Gottesurteil gilt zu dieser Zeit als einzige Möglichkeit, einen Verdächtigen der Tat zu überführen, wenn er nicht auf frischer Tat ertappt wird und so die Schuld offensichtlich ist.

Gottesurteile gibt es in vielen Varianten. Ein mutmaßlicher Mörder etwa wird zur Leiche geführt – wenn die Wunden wieder anfangen zu bluten, gilt das als Beweis seiner Schuld. Verdächtige müssen glühendes Eisen anfassen – wenn sie nicht ernsthaft verletzt werden, gelten sie als unschuldig. Der Zweikampf zwischen zwei Adligen entscheidet über Schuld oder Unschuld – im Glauben, dass Gott demjenigen den Sieg geben wird, der Recht hat.

Der Richter hält sich im Verfahren zurück. Er achtet auf ein formal korrektes Verhalten von Ankläger und Angeklagtem, nimmt aber keine eigenen Ermittlungen vor. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts verbietet die Kirche Klerikern, an solchen Prozessen und Beweisführungen teilzunehmen.

Es gibt aber noch keine allgemeingültige Rechtsnorm im Umgang mit Häretikern (Gotteslästerern / Ketzern). Und so entsteht sukzessive ein neues Prozessverfahren, die "Inquisitio". "Inquisitio" bedeutet "Erforschung".

Die Inquisitoren sind Ankläger, Verteidiger und Richter zugleich, sie "forschen nach", sie sind befugt, ohne die Anklage eines Dritten einen Prozess von Amts wegen einzuleiten und Zeugen zu verhören.

So grausam diese auch oft sind – vom Verfahren her ist die "Inquisitio" ein Fortschritt, weil sie dem Angeklagten zumindest eine geringe Chance der Verteidigung gibt und die Gottesurteile und ähnliche irrationale Verfahren ablöst. Dieses Verfahren wird auch dringend gebraucht, weil das Entstehen großer Ketzergruppen die Kirche existenziell bedroht.

Die Inquisitoren waren Kläger, Verteidiger und Richter | Bildquelle: akg-images/Jean-Paul Laurens

Die ersten Ketzergruppen

Im 12. Jahrhundert nach Christus verliert die katholische Kirche an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Die Kirchenmänner Roms sind mehr mit der Ansammlung von Reichtümern beschäftigt als mit der kirchlichen Lehre und dem Seelenheil ihrer Gläubigen.

Zugleich sind die Lebensbedingungen der Menschen schlecht: Es gibt viel Hunger und große Not. Das Leben ist für die Gläubigen ein Jammertal, sie suchen Halt in der Frömmigkeit und all ihre Hoffnung richtet sich auf ein gutes Leben nach dem Tode.

Aber wer kann ihnen ihr Seelenheil garantieren? Von der katholischen Kirche, die sündig in Saus und Braus lebt, wenden sich immer mehr Menschen ab.

Zu dieser Zeit entsteht im Süden Frankreichs und in Oberitalien eine neue Kirchenbewegung, gegründet durch die Katharer, die "Reinen", wie sie sich nennen, und die Waldenser. Sie leben im Gegensatz zu den katholischen Kirchenleuten in Armut.

Für sie sind materielle Dinge ein Werk des Teufels, sie predigen die Botschaft des Evangeliums und sind davon überzeugt, dass nur durch Askese die Seele gerettet werden kann. Die Katharer gründen eigene Bistümer und setzen eigene Bischöfe ein. Enttäuscht von den Kirchenfürsten in Rom, schließen sich ihnen immer mehr gläubige Christen an.

So entsteht eine Gegenkirche, die nicht nur dem Papst eine Dorn im Auge ist, sondern auch die politischen Machtverhältnisse im Süden Frankreichs bedroht. Die Anhänger der "Reinen", zu denen auch Fürsten gehören, lehnen auch den Eid auf den König ab. Noch nie in ihrer Geschichte ist die katholische Kirche durch Häretiker, Abweichler ihres Glaubens, so existenziell bedroht.

Völlig verunsichert im Umgang mit den Ketzern, überredet Papst Innozenz III. den französischen König 1209 zu einem Kreuzzug gegen die Katharer. 20 Jahre später endet der Kreuzzug, der mehr und mehr in einen Eroberungsfeldzug gegen die Grafen des Südens ausartet und zu einer Machterweiterung des französischen Königs führt. Das Problem der Ketzerei kann damit aber nicht gelöst werden. Die Häresie existiert weiter.

1209 kommt es zu einem Kreuzzug gegen die Katharer | Bildquelle: akg-images/British Library

Der Beginn der Inquisition

Die Kirche steht vor der Aufgabe, einen Weg zu finden, wie sie systematisch Ketzer aufspüren und bekämpfen kann. Ursprünglich waren die Bischöfe für die Bekämpfung von Ketzern zuständig. Sie sind aber überfordert oder erst gar nicht an der Lösung des Problems interessiert. Deshalb sollen speziell ausgebildete Abgesandte des Papstes die Verantwortung übernehmen.

Papst Innozenz III. hat den Mönchen der Dominikaner und Franziskaner schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine wichtige Aufgabe im Kampf gegen die Ketzerei zugedacht.

Die Bettelorden, die – anders als die anderen Orden – nicht ihr ganzes Leben betend und arbeitend hinter Klostermauern verbringen, haben eine ganz andere Nähe zum Volk. Sie ziehen als Wanderprediger übers Land, predigen das wahre Evangelium und sollen schon mal auf diese Weise den Ketzern den Wind aus den Segeln nehmen.

Papst Gregor IX. ist es dann, der 1231 Dominikaner und Franziskaner zu "Inquisitoren" ernennt und sie mit der Verfolgung der Ketzer beauftragt. Das ist die Geburtsstunde der Inquisition. Rom stattet den Inquisitor mit einer Vollmacht aus, die für eines oder mehrere Bistümer gilt.

Gründung der päpstlichen Inquisition (im Jahr 1231) WDR ZeitZeichen 12.11.2021 14:44 Min. Verfügbar bis 13.11.2099 WDR 5

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Bei ganz hartnäckigen Fällen erlaubt Papst Innozenz IV. 1252 nach dem Vorbild des staatlichen Rechts auch den Einsatz der Folter. Nach der Beratung mit den Beisitzern kommt der Inquisitor zu einem Urteil. Da die Kirche selbst aber keine Urteile vollstrecken darf, ist sie auf die Unterstützung der weltlichen Macht angewiesen.

Die Zusage von Friedrich II., den Papst bei der Ketzerverfolgung zu unterstützen, bringt eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der Inquisition.

Die Franziskaner sollen den Papst bei der Inquisition unterstützen | Bildquelle: akg-images/Stefan Diller

Das Vorgehen gegen Ketzer

Mit der Inquisition hat die katholische Kirche nun die Möglichkeit, in ganz Europa systematisch gegen Häretiker vorzugehen. Der Inquisitor zieht von Stadt zu Stadt und lässt alle Bürger auf dem Marktplatz antreten.

Nach der Ketzerpredigt schickt er sie mit dem Befehl nach Hause, Ketzer in einer bestimmten Frist bei ihm anzuzeigen oder sich selbst anzuzeigen. In diesem Fall kommt der Häretiker mit einer milderen Strafe davon. Denunziantentum und Selbstanzeige sind ein erfolgreiches Instrumentarium der Inquisition, schaffen aber auch das Problem des Missbrauchs.

Vor Gericht müssen sich die Angeklagten dann verantworten. Die Verteidigungsmöglichkeiten sind gering, weil ihnen die Namen der Belastungszeugen vorenthalten werden, damit diese nicht Repressalien des Angeklagten oder seiner Familie ausgesetzt sind.

Bei besonders hartnäckigen Ketzern lässt der Inquisitor die Folter anwenden. Steht die tatsächliche oder vermeintliche Schuld dann fest, wird das Urteil öffentlich im Rahmen einer Messe verkündet, das im schlimmsten Fall Verbrennen auf dem Scheiterhaufen bedeutet.

Es kommen aber weit weniger Menschen auf den Scheiterhaufen, als man weithin denkt. Einer der bekanntesten Inquisitoren des Mittelalters, Bernard Gui, verurteilt bei 930 Prozessen lediglich 42 Ketzer zum Tode auf dem Scheiterhaufen. 307 Angeklagte verurteilt er zu Kerkerhaft, 139 werden freigesprochen, und der Rest kommt mit leichteren Strafen wie dem Tragen von Bußkreuzen oder Pilgerfahrten davon.

Die Inquisition ist vor allem in Frankreich, Italien und Spanien aktiv, wütet aber auch in Deutschland. Hier fällt besonders Konrad von Marburg als grausamer Inquisitor auf. Er wird im Sommer 1233 erschlagen.

Mitte des 14. Jahrhunderts nimmt die Bedeutung der mittelalterlichen Inquisition ab. Die Ketzerbewegungen sind zerschlagen, dieses Problem der Kirche ist gelöst. Doch schon bald steht die Inquisition vor neuen Aufgaben.

Konrad von Marburg war ein grausamer Inquisitor | Bildquelle: akg

Die "Heilige Römische und Universale Inquisition"

Die Reformation, die Erfindung des Buchdrucks und die Verbreitung neuer wissenschaftlicher Ideen bringt die katholische Kirche erneut in Zugzwang.

1542 gründet Papst Paul III. die "Heilige Römische und Universale Inquisition" in Rom. Der einzelne Inquisitor, der bisher das Sagen hat, verschwindet von nun an in einem bürokratischen Apparat: dem "Heiligen Officium", wie diese Behörde auch genannt wird. Ihm gehören rund ein Dutzend Kardinäle an, deren Aufgabe die Reinerhaltung des Glaubens ist.

Durch die Erfindung des Buchdrucks kann sich häretisches Gedankengut in Windeseile verbreiten. Folglich versucht die Behörde, den Buchmarkt zu kontrollieren. Bücher werden überprüft und zensiert, regelmäßig wird ein Index aller verbotenen Bücher veröffentlicht. Wer ein verbotenes Buch besitzt oder liest, muss mit der Exkommunikation rechnen.

Und das gilt nicht nur für reformatorische Literatur: Gerade das Aufkommen neuer wissenschaftlicher Ideen führt zu einer harten Konfrontation mit dem kirchlichen Dogma. Das prominenteste Opfer ist Galileo Galilei. Nicht allein, dass er das Weltbild von Nikolaus Kopernikus als Tatsache ansieht: Er stellt den Papst auch noch als Dummkopf hin und muss sich als rückfälliger Ketzer zweimal vor der Inquisition verantworten. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt, die später in Hausarrest abgemildert wird.

Noch schlimmer ergeht es Giordano Bruno. Der ehemalige Dominikanermönch wird auf dem Campo dei Fiori in Rom öffentlich verbrannt, weil er behauptete, Jesus sei nicht der Sohn Gottes und das Universum sei unendlich.

Giordano Bruno stirbt 1600 auf dem Scheiterhaufen | Bildquelle: picture-alliance

Mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert hat die Kontrolle wissenschaftlicher Ideen aber endgültig ein Ende. Die Inquisition konzentriert sich jetzt darauf, die Ordnung innerhalb der Kirche zu überwachen. Ihr Einfluss in Europa schrumpft auch deshalb, weil die weltlichen Mächte der Kirche die Machtmittel entziehen.

Aber die Inquisition wird auch selbst milder. 1761 und 1782 gibt es die letzten Todesurteile in Rom beziehungsweise Sevilla. 1917 gibt der Papst die Leitung der Behörde an einen Kardinal ab, 1965 wird das "Heilige Officium" endgültig aufgelöst, die Indizierung von Büchern wird abgeschafft.

Die Glaubenskongregation als Nachfolger

An die Stelle der "Heiligen Römischen und Universalen Inquisition" tritt die Glaubenskongregation. Sie wacht noch immer über die Einheit des Glaubens. Sie kann aber effektiv nur gegen Mitarbeiter und Geistliche der Kirche vorgehen. Die wirksamste Strafe, die verhängt werden kann, ist das Berufsverbot.

Der spätere Papst Benedikt XVI., Kardinal Joseph Ratzinger, war viele Jahre Leiter der Glaubenskongregation. Er entzog zum Beispiel den Theologen Hans Küng und Leonardo Boff die Lehrerlaubnis. Küng hatte die Unfehlbarkeit des Papstes bezweifelt und das Abtreibungsverbot kritisiert.

Der ehemalige Papst Benedikt XVI. war Leiter der Glaubenskongregation | Bildquelle: dpa Picture-Alliance

Ein Sinneswandel der katholischen Kirche wird auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) erkennbar, dort bekennt sich die katholische Kirche zur Religions- und Gewissensfreiheit.

1998 öffnet der Vatikan die Archive der römischen Inquisition. Tausende von Inquisitionsakten aus vielen Jahrhunderten bringen fortan viele Erkenntnisse über ein dunkles Kapitel der katholischen Kirche.

Am ersten Fastensonntag des Jahres 2000 gesteht Papst Johannes Paul II. als erster Papst öffentlich Irrtümer und Fehlverhalten der katholischen Kirche ein. Er sagt, die Kirche habe bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen – damit meint er die Verfolgung Andersgläubiger, Zwangsbekehrung, Folter und Inquisition.