Frauenbewegung
Walpurgisnacht
Im Mittelalter wurden Zehntausende Frauen als vermeintliche Hexen verfolgt und getötet. In den 1970ern entdeckte die neue Frauenbewegung die Hexe als Symbolfigur für sich. Vor allem in der Walpurgisnacht fanden viele Jahre lang bunte und lautstarke Demonstrationen statt.
Von Ingrid Strobl
Zehntausende Opfer
Schätzungsweise 50.000 Menschen fielen den Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit zum Opfer, davon etwa 80 Prozent Frauen. Die katholische und die protestantische Kirche verfolgten angebliche Hexen gleichermaßen, aber auch die weltliche Gerichtsbarkeit ließ Frauen unter dieser Anklage foltern und töten.
Die Scheiterhaufen brannten in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Spanien, Italien und Nordamerika. In Großbritannien wurden Hexen gehängt, während es in Irland interessanterweise keine Hexenverfolgung gab.
In Deutschland wurde erst 1775 die letzte "Hexe" verbrannt. Und 1978 ergab eine Umfrage, dass in den USA damals noch jeder Zehnte an Hexen glaubte.
Zehntausende Frauen wurden als angebliche Hexen verbrannt
Die Angst der Männer
Die Frauen, die in den frühen 1970er-Jahren die neue Frauenbewegung ins Leben riefen, interessierten sich sehr für diese angeblichen Hexen. Die Feministinnen vermuteten: Die Frauen, die so heftig verfolgt, so grausam gefoltert und gnadenlos ermordet wurden, hatten etwas getan oder vermocht, das die Männerwelt ängstigte oder neidisch machte.
Sie nahmen an, dass die angeblichen Hexen vor allem Anhängerinnen des alten Göttinnenglaubens, weise Frauen, Heilerinnen und Hebammen waren, die von der männlichen Medizin und Religion verteufelt wurden – im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie hofften, dass diese Frauen vielleicht auch wirklich zaubern konnten und über ein machtvolles Wissen verfügten, das sie auf ihren Treffen in der Walpurgisnacht miteinander teilten, und das die Frauenbewegung wiederbeleben und nutzen wollte.
Und so riefen zum Beispiel die Teilnehmerinnen der ersten Frauen-Demonstration in Rom: "Tornate, tornate, le streghe son tornate!" – "Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!"
Auch in vielen Märchen ist die Hexe eine Hauptfigur
Und seit Mitte der 1970er-Jahre, als die Frauenbewegung sich erstmals mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandersetzte, fanden viele Jahre lang bunte und lautstarke Demonstrationen in der Walpurgisnacht statt, also der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai.
Die Frauen verkleideten sich als Hexen, trommelten, bliesen Trillerpfeifen und hielten potenziellen Vergewaltigern entgegen: "Wir erobern uns die Nacht zurück!"
Unterschiedliche Gründe für die Verfolgung
Inzwischen haben frauenbewegte Wissenschaftlerinnen die Geschichte der Hexenverfolgung und die Sozialgeschichte der Frauen in früheren Jahrhunderten erforscht. Und so wissen wir heute, dass sehr unterschiedliche Frauen aus sehr unterschiedlichen Gründen als Hexen verfolgt wurden.
Unter ihnen waren tatsächlich Heilerinnen und Hebammen, Frauen, die nicht der damals herrschenden Norm entsprachen, Frauen, die unabhängig und selbständig lebten und mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hielten.
Es gab aber auch reiche Unternehmerinnen und Witwen, deren Vermögen sich – nachdem sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren – der örtliche Landesherr oder ein männlicher Verwandter aneignete.
Und umgekehrt wurden zum Beispiel in England viele sehr arme Frauen verbrannt, einfach nur, weil sie Bettlerinnen und Landstreicherinnen waren.
Die meisten Frauen allerdings, die als Hexen ihr Leben lassen mussten, wurden von Nachbarn oder Familienangehörigen denunziert. Aus höchst privaten und oft habgierigen Gründen. Wer seine Ehefrau oder die Erbtante los werden wollte, der musste nur das Gerücht streuen, er habe sie auf dem Besen durch die Lüfte reiten sehen.
Heute ist die Figur der Hexe oft positiv besetzt
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 22.10.2019)
Quelle: WDR